Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
mich täuschte, war aber schließlich doch überzeugt: Es handelte sich um den entscheidenden Hinweis. Als hätte der Mörder ihn nur für mich dagelassen.
Hinter den Resten des Bettes lugte ein Kopf hervor. Neben dem Kopf ein ausgestreckter Arm.
Eine Puppe.
Patricias Puppe.
Jetzt lag sie auf dem Rücksitz meines Wagens.
21
Schon als ich aus dem Taxi ausstieg und mich meinem Chevrolet näherte, hatte ich diese Vorahnung. Ich sperrte den Wagen auf, öffnete die Tür und blickte auf die Rückbank. Leer. Auch unter den Vordersitzen und an jedem anderen denkbaren Platz war sie nicht zu finden.
Die Puppe war verschwunden.
Oder war sie niemals hier gewesen?
Nein, diese Puppe war keine Einbildung gewesen. Sie hatte in diesem Wagen gelegen . J emand musste sie herausgenommen haben. Jemand, der einen Schlüssel zu meinem Wagen gehabt hatte. Jemand, der um die Bedeutung der Puppe wusste.
Ich musste die Puppe aus dem Haus der Whites geholt haben, nachdem ich das erste Mal bei Hearing gewesen war. Aber warum? Dass ich die Puppe auf dem Foto entdeckt hatte, war mehr oder weniger Zufall gewesen. V ermutlich war ich nur deshalb darauf gestoßen, weil ich davon überzeugt gewesen war, auf dem Bild müsste sich etwas Außergewöhnliches befinden . Aber das hatte ich bei meinem ersten Besuch nicht gewusst. Warum also hatte ich damals dieser Puppe eine derart große Bedeutung beigemessen?
Wieder malte ich die Puppe in meinen Gedanken nach. Versuchte mich an die Stellung der Gliedmaßen zu erinnern. Ein Arm war ausgestreckt. Ganz sicher. Auch auf der Fotografie war der ausgestreckte Arm erkennbar gewesen. Aber was war mit den Beinen? War eines abgeknickt? Möglich. Aber sicher war ich mir nicht. Falls es jedoch so gewesen wäre, wenn eines der Beine gebogen war, dann wäre das ein Indiz. Dann nämlich hatte der Mörder mit der Stellung der Puppe Patricias Stellung nachgebildet. Oder war es umgekehrt? Hatte der Mörder Patricia das Knie gebeugt, um sie wie die Puppe aussehen zu lassen? Aber w ieso sollte er das tun? Zwar konnte man – wie Hearing völlig richtig gesagt hatte – die Denkweise eines Psychopathen nur schwer nachvollziehen, aber diese Fragestellung schien mir mehr und mehr die richtige zu sein. Und die Antwort darauf jene, die den korrekten Lösungsweg durch dieses Labyrinth des Wahnsinns zeigen würde. Hatte ich mir damals bei Hearing dieselbe Frage gestellt?
Die Tränen. Hatten sie eine Bedeutung? Hatte Patricia die Tränen auf die Wange der Puppe gemalt? Oder war es der Mörder. Ich erinnerte mich an die Tränen meiner Mutter in einem meiner Träume. Ich sah ihr Gesicht scharf vor mir. Wie Flüsse aus heißem Teer rannen sie glänzend über das schmerzverzerrte Gesicht. In welchem der Träume war das?
Ich wusste es nicht mehr.
Aber diese Tränen mussten mit jenen der Puppe zusammenhängen. Auch wenn ich mich nicht an die Zeit vor dem Erwachen in dem Motel erinnern konnte, so waren diese Träume doch ein Informationstransfer über diese Schwelle des Vergessens. Wenn mein Gehirn mir meine Mutter mit diesen Tränen in einem Traum zeigte, dann musste ich mir zuvor darüber Gedanken gemacht haben. Gedanken, die derart intensiv gewesen sein mussten, dass sie den Weg in den Traum gefunden hatten.
Meine Mutter hatte im Traum getanzt. Ja. Sie streckte singend einen Arm in die Höhe und beugte ein Bein.
Wie die Gliedmaßen der Puppe.
Dass mir mein Gehirn meine tanzende Mutter zeigte, war nachvollziehbar. Trug Patricias Puppe doch ein Ballettkleid und Ballettschuhe. Folglich konnten auch die Tränen der Puppe auf meine Mutter projiziert worden sein. Aber warum sang meine Mutter diese Melodie? Auch Patricia hatte sie gesungen. Im Wagen. Im Wohnzimmer. Was hatte es damit auf sich?
So sehr ich mein Gehirn auch marterte – ich fand keine Antwort.
Ein Vibrieren in der Hosentasche riss mich aus meinen Gedanken. Ich griff nach dem Handy und blicke auf das Display.
»Hey Dave.«
»Hey Jack-Ass. Mister Firefighter . Ich hab gerade gehört, dass du ab sofort wieder deinen Arsch in die brennende Scheiße unserer Mitbürger halten darfst. Gratuliere!«
Ich lächelte. »Ja, Dave. Ich bin wieder im Spiel.«
»Gut so! Dann schau, dass du deinen süßen Hintern ins Department schaffst. Die Fire-Twins werden gebraucht.«
»Dave, hör‘ zu, ich … ich brauche Urlaub.«
»Urlaub? Willst du mich verarschen? Du warst noch nie auf Urlaub.«
»Dann wird es höchste Zeit. Ich muss hier ein paar Dinge
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