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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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pulsierte. Langsam, als würde dieser Gang lebendig sein. Als würde dieser Gang atmen .
    Ein Geräusch schallte durch die Dunkelheit. Ein Platschen, als wäre ein Stück Fleisch auf die Fliesen gefallen. Noch einmal. Ganz nahe. Warme Flüssigkeit spritzte auf meine Unterarme. Wieder und wieder platschte es. In ansteigender Frequenz. Als würde der Gang aus Fleisch erbaut worden sein, das nun immer schneller herab fiel und letztlich alles unter sich begrub, was sich darin befand.
    Mich.
    Und diese andere Person, die ich jetzt neben mir spürte.
    Dann war es still. Kein Platschen, kein Donnern, kein Atmen. Selbst mein Herz schien seine Arbeit eingestellt zu haben. In dieser Stille klang das darauf folgende Geräusch umso greller. Ein regelmäßiges, lang gezogenes Quietschen. Ein Rad auf einer rostigen Achse könnte so klingen. Oder die Scharniere einer Stahltür, die im Luftzug vor und zurück schwang. Dazu gesellte sich ein Geräusch, das meine Vermutung bestätigte, jemand wäre bei mir. Rechts von mir, in unmittelbarer Nähe, wurde ein Wecker aufgezogen.
    Nein. Kein Wecker.
    Eine Spieluhr. Sie dröhnte los. Laut und verhallt. Somewhere over the rainbow. Das regelmäßige Quietschen kreischte im Takt des Liedes.
    Mit der Melodie tauchte der türkise Schimmer auf. Ich konnte nicht ausmachen, was dieses Licht verursachte. Es schien , als hätte die Melodie Milliarden mikroskopisch kleine Glühwürmchen zum Leben erweckt . I n diesem Schein erkannte ich Silhouetten. Zwei Mädchen. Sie standen neben Rollstühlen und starrten mich an.
    Ich drückte mich hoch, stützte mich an der Wand ab. Meine Finger gruben sich tief in warmes Fleisch. Ekel befiel mich. Ich hatte Mühe, meine Hand aus der glitschigen Masse herauszuziehen. Irgendwie schien mich dieses Wesen einsaugen zu wollen, um mich zu verdauen und über kurz oder lang als Fleischklumpen auf den Boden platschen zu lassen.
    Die beiden Mädchen starrten mich immer noch an. Eines der beiden war Patricia. Ihr blonder Lockenkopf war unverkennbar. Das andere hatte dunkle , schulterlange Haare. Schwarze Augen stachen in dem bleichen Gesicht hervor. Die Mädchen wirkten wie Schwestern. Das lag weniger an ihrem Aussehen, sondern an der Art, wie sie gekleidet waren. Beide trugen ein kurzes K leid und Ballerinas. Im türkis en Schimmer konnte ich die Farben nicht erkennen. Nur, dass sie unterschiedlich waren. Aber ich wusste: Patricias Kleid war blau. Das des anderen Mädchens rot.
    Auf den Sitzflächen der Rollstühle saßen ihre Puppen. Die schwarzen Tränen glänzten an der rechten Wange.
    Dann hoben die beiden Mädchen synchron den rechten Arm und das linke Bein. Im Takt der Spieluhr. Dann senkten sie die Gliedmaßen und wiederholten die Bewegung mit dem linken Arm und dem rechten Bein.
    »Jacky, spiel mit uns!« Die Stimmen hallten durch den Gang. Es waren unnatürlich hohe Stimmen, als würde ein Kind sich bemühen, wie eine Maus zu piepsen. »Spiel mit uns!«
    Die Mädchen hoben den rechten Arm und das linke Bein. »Spiel mit uns , Jacky!«
    Erst jetzt erkannte ich, dass sich die Lippen der Mädchen nicht bewegten. Nicht die Mädchen forderten mich zum Spielen auf – es waren die Puppen. Aus den rot nachgezogenen Lippen tönten die hohen Fistelstimmen lauter und lauter. »Jackywecky! Lass uns raus und spiel mit uns!«
    »Nein!«, brüllte ich. »Das ist nicht real!« Ich musste träumen. Natürlich. Ich war gestürzt und hatte kurz das Bewusstsein verloren. Das war alles nicht echt. Wach auf, Jack! Wach auf!
    Ich rannte auf die Mädchen und die Rollstühle zu. Anstatt der harten Fliesen spürte ich etwas Weiches unter meinen Schuhsohlen. Als würde ich durch Schlamm waten. Aber ich wusste, dass es kein Schlamm war. Ich trat auf Fleischklumpen, die von dieser verfluchten Decke gefallen waren.
    Die Mädchen tanzten unbeirrt weiter. Das Dröhnen der Spieluhr wurde mit jedem Schritt lauter. Jetzt begannen die Puppen, die Bewegung der Mädchen nachzumachen. »Spiel mit uns, Jacky!«
    »Weg mit euch!« Kurz bevor ich die Mädchen erreicht hatte, waren sie verschwunden. Ich drehte mich um. Sie saßen hinter mir. In ihren Rollstühlen. Drückten die Puppen gegen ihre Brust.
    »Warum hast du uns das angetan, Eddie?« Sie sagten es synchron. Beide weinten. Schwarze Tränen.
    Ich rannte. Stolperte. Fiel. Knallte mit meinem Oberkörper gegen eine Kante. Stufen. Mein Gott! Stufen! Auf allen Vieren kroch ich nach oben, sah einen hellen , türkisen Schein, der mich am oberen Ende

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