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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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hundertprozentig sicher, dass es sich bei dem verbrannten Menschen um meinen Vater gehandelt hatte. Stellte sich nur die Frage, wie er es geschafft haben konnte, jemanden unbemerkt in sein Zimmer zu locken und ihn seiner statt mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Dazu musste ich aber mehr über meinen Vater erfahren. Ich kannte ihn nicht. Hatte keine Ahnung über seinen Zustand, nicht einmal warum er hier eingesperrt worden war. Ich wusste nur eines: Es hatte einen Grund gegeben. Und dieser Grund war keine Lappalie.
    Ich musste Doktor Overlook dazu bringen, mehr über meinen Vater zu erzählen. Wenn hier psychologische Untersuchungen durchgeführt worden waren, dann gab es auf der ganzen Welt keinen besseren Platz, etwas über die wahnsinnigen Gedanken dieses Monsters zu erfahren.
    »Was hielten Sie von meinem Vater? Ich meine, von Edward Reynolds als Mensch.«
    Doktor Overlook schien nachzudenken. Dann tippte sie auf der Tastatur ihres Laptops, las offensichtlich und blickte mich dann wied er an. »Als Mensch … Wollen sie ein ärztliches oder mein persönliches Urteil?«
    »Beides. In dieser Reihenfolge.«
    Doktor Ove r look grinste. »Ihr Vater litt an einer instrumentellen dissozialen Persönlichkeitsstörung. Das heißt, er musste Macht auf andere ausüben, ohne Rücksicht auf soziale Normen, ohne Schuldbewusstsein, jemanden zu verletzen, sei es körperlich oder emotional. Diese Persönlichkeitsstörung war nicht therapierbar, was unter anderem an den schweren Depressionen lag, die ihn letztlich zu uns brachten. Und meine persönliche Meinung: ein ausgesprochen intelligenter Mensch, der sehr wohl wusste, was er tat. Und was immer er tat: Es machte ihm Spaß.«
    »Ausgesprochen intelligent«, wiederholte ich. »Wenn es also eine Möglichkeit gegeben hätte, den Selbstmord vorzutäuschen, oder jemand anderen zu verbrennen, meinen Sie mein Vater wäre intelligent genug gewesen, diese Möglichkeit zu finden?«
    Die Doktorin dachte nicht lange nach. »Ja«, sagte sie. »Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte . Aber es gab keine Möglichkeit. Es sei denn, Ihr Vater wäre eine Art Houdini gewesen. War er das?«
    Die Frage kam unvorbereitet. Ich hatte keine Ahnung. Instinktiv zuckte ich mit den Schultern.
    »Mister Reynolds«, sagte sie und verschränkte ihre Hände hinter ihrem Kopf. »Würden Sie mir eine einzige Frage beantworten, ohne eine Gegenfrage zu stellen?«
    »Was meinen Sie? Wieso?«
    »Berufliches Interesse. Keine Angst, es geschieht Ihnen nichts. Nur eine einfache Frage. Ja?«
    »Von mir aus.«
    »Wann sind Sie geboren?«
    Ich blickte sie an, versuchte mich zu erinnern. Das Datum stand auf dem Führerschein. Es war der September. Ja, der Achtzehnte. 1979. »Achtzehnter September 1979«, antwortete ich. Wie gewünscht ohne Gegenfrage.
    »Richtig«, sagte sie und lehnte sich lächelnd in den Bürostuhl zurück. »Und seit wann leiden Sie an dieser Amnesie?«
    Ich starrte Doktor Overlook an, als säße ich einer Zauberin gegenüber, die durch eine einzige Frage (die ich sogar richtig beantwortet hatte) feststellen konnte, dass ich mich an nichts erinnern konnte. Natürlich war sie täglich mit gleichartigen Krankheitsbildern konfrontiert, dennoch schien es mir, als würde sie eine Direktverbindung mit meinem Gehirn hergestellt haben und meine Gedanken für sie ein offenes Buch sein.
    Immer noch lächelte sie. »Kein Grund zur Sorge. Diese Diagnose war nicht sehr schwierig. Menschen mit Amnesie verhalten sich bei der Beantwortung von persönlichen Daten, die sie erst kürzlich gelernt haben, anders, als Menschen ohne Gedächtnisverlust. Das eigene Geburtsdatum ist ein Beispiel. Sie müssen nachdenken , als wäre es der Geburtstag der Frau oder eines Freundes. Das eigene Geburtsdatum hingegen weiß man. Abgesehen davon haben wir beide vor zwei Monaten ein sehr langes Gespräch geführt. Ich hatte bereits einen Verdacht, als wir uns begrüßt hatten. Sie machten nicht den Eindruck, als hätten Sie mich schon jemals in ihrem Leben getroffen. Verzeihen Sie mir, dass ich das nicht schon bei ihrer ersten Frage erwähnt hatte. Berufliches Interesse.« Ihre Augen blitzten wiederum frech in meine Richtung. »Also. Seit wann haben sie keine Erinnerungen mehr?«
    »Seit gestern früh«, sagte ich. Ich fühlte mich ertappt. Als hätte ich versucht, Doktor Overlook hinters Licht zu führen. Ja, es war mir unangenehm. Und peinlich. Doktor Overlooks Aussage schien mir plausibel. Bereit s b eim Empfang hatte ich das

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