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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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erwartete. »Nein!«, brüllte ich. »Verschwindet!«
    »Mister!« Eine Frauenstimme. Sie gehörte zu einer Silhouette, die keine zwei Meter vor mir stand. »Alles in Ordnung?«
    In diesem Moment ging das Licht auf der Station an. Die Pflegerin half mir auf.
    »Gott sei Dank«, sagte sie, »Der Strom ist wieder da! Geht es Ihnen gut ?«
    »Ja«, antwortete ich außer Atem, bemühte mich aber, einen normalen Eindruck zu machen.
    Die Pflegerin blickte zur Treppe, über die ich nach oben gekrochen war. »Sie waren da unten, als der Strom ausfiel?«
    Ich nickte.
    » Meine Güte! Da gibt es nicht einmal eine Notbeleuchtung! Ich wäre vor Angst gestorben … «
    »Ja, ist ziemlich unheimlich da unten, so ganz ohne Licht. Abteilung Sieben?«, fragte ich. »Wo finde ich die?«
    »Gleich da vorne«, sie deutete den Gang entlang zu einer Milchglastür. »Sie müssen läuten, dann macht ihnen jemand auf.«
    Beatrice Overlook war eine dieser Frauen, deren Alter man nur schwer schätzen konnte. Ich gab ihr dreißig Jahre, wobei es genau so gut vierzig sein konnten, oder mehr. Sie war dunkelhäutig und ihren Augen nach asiatischer Abstammung. Die Haare trug sie schulterlang und eine Strähne versuchte hartnäckig, in ihre Stirn zu fallen. Die Farbe ihrer Augen war eine Mischung aus Schwarzbraun und Türkis, wirkte wie eine Spirale, die den Farbton nach innen von Schwarz in Grün änderte. Augen wie diese konnte keine Amnesie dieser Welt aus der Erinnerung löschen.
    Die Doktorin war erstaunlich offen, was meinen Besuch und die damit verbundenen Fragen anging. Zwar erwähnte sie , dass es ungewöhnlich wäre, so lange nach dem Ableben meines Vaters hier zu erscheinen und diesbezügliche Fragen zu stellen, aber das Pilgrim würde gerne die Fragen der Angehörigen beantworten, soweit es möglich war.
    Doktor Overlook hob die Brauen. Ihre Augen blitzten. Fast hatte ich den Eindruck, sie blitzten frech . Wobei mir dafür aber jede Begründung fehlte.
    »Nun, Mister Reynolds. Mit welchen Antworten kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Doktor Overlook schien mir ein Mensch zu sein, der Offenheit schätzte und vor allem intelligent genug war, jede Art von Suggestivfragen sofort zu durchschauen. Daher stellte ich die Frage gleich so, wie sie mir auf der Zunge brannte.
    »Könn en Sie sich vorstellen, dass mein Vater noch lebt?«
    Die Doktorin lehnte sich in ihren Stuhl zurück und fasste zu ihrer Brille, als wollte sie überprüfen, ob diese eine Strähne sie nicht verschoben hatte. Sie wirkte durch meine Frage nicht überrascht, auch nicht erstaunt. Sie spitzte nur die Lippen, was den Eindruck erweckte, sie würde nachdenken, ob ich diese Frage ernst gemein t haben könnte.
    Kurz kam mir der Gedanke, dass ich vorsichtig sein sollte, was ich in diesem Haus sagte. Immerhin war ich in einer Nervenheilanstalt . Falls ich mich in irgendeiner Weise verdächtig verhielt, konnte ich mir gut vorstellen, dass Doktor Overlook einen ihrer Pfleger rief, der mich – natürlich nur vorübergehend – z ur Kontrolle hier behielt. G emeinsam mit diesem Gedanken drängte sich ein weiterer auf. Nämlich der, dass das möglicherweise gar keine schlechte Option war.
    Doktor Overlook verschränkte die Finger vor ihrer Brust, als würde sie jeden Moment anfangen zu beten. »Wie kommen sie darauf?«, fragte sie und hob abermals die Augenbrauen. »Wir wissen doch beide, dass Ihr Vater sich das Leben nahm. Und das auf eine – lassen Sie es mich mal so sagen – sehr aufsehenerregende und vor allem endgültige Weise.«
    »Natürlich weiß ich das. Er hat sich verbrannt. Und genau das ist der springende Punkt: Hat man nach seinem Selbstmord die Identität feststellen lassen?«
    Die Doktorin richtete ihren Oberkörper auf. Der Anflug eines Lächelns zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Jetzt blitzten die Augen definitiv frech. »Auf was wollen Sie hinaus? Haben Sie Ihren Vater gesehen ?«
    Vorsicht! , mahnte mein Gehirn. Beantworte diese Frage mit Ja und die nächste Generation der Familie Reynolds ist auf dieser Station vertreten . »Nein. Aber es gibt Indizien, die diese Frage aufwerfen. Und solange ich sie nicht endgültig beantwortet habe … «
    »Nun«, unterbrach mich Doktor Overlook, »Nein, die Identität wurde nicht überprüft. Er war in seinem Zimmer. Niemand außer den Pflegern hatte Zutritt und er konn te es nicht verlassen. Folglich war es klar, dass es sich um Ihren Vater handeln musste.«
    Somit hatte sich meine erste Vermutung bestätigt. Es war nicht

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