Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
öffnen.
Hearing räusperte sich. »Dazu brauche ich mehr als eine Behauptung. Da brauche ich etwas Handfestes.«
»Das können Sie haben«, sagte ich und blickte zu den Zeichnungen auf dem Couchtisch. »Fragen Sie Ihren Detective, ob es vermisste behinderte Kinder gibt, die in einem Zeitraum von vor zwei Monaten entführt wurden. Dann fragen Sie ihn ob es Mädchen sind. Und dann, ob vier davon wie folgt aussehen … « Ich stand auf und ging zum Couchtisch. »Haben Sie etwas zum Schreiben?«
Hearing erhob sich offenbar ebenfalls und vermeldete kurz darauf, dass er jetzt bereit wäre.
Ich gab ihm die Beschreibung der vier Mädchen durch und bemerkte zur Dunkelhaarigen, dass es sich dabei um das Mädchen von Hart Island handelte. Ich erwähnte den aufgebrochenen Sarg, worauf Hearing anmerkte, dass er sehr wohl wüsste, welches Mädchen ich gemeint hätte.
»Woher habe Sie diese Beschreibungen?«
»Ich habe hier fünf Zeichnungen, die mir Doktor Overlook aus dem Pilgrim Psychol o gical Center mitgegeben hat. Es sind Zeichnungen meines Vaters von vor etwa drei Monaten.«
»Und er hat die Mädchen gezeichnet?«
»Ja«, sagte ich. »Die Mädchen in den Rollstühlen. Und wie er sie entführt und ermordet. Patricia White ist auch auf den Bildern.«
Wieder schwieg Hearing und wieder zweifelte ich, ob er mich nicht im Geiste bereits in einer dieser gepolsterten Zellen im Pilgrim sehen wollte.
»Wenn das stimmt«, sagte Hearing und ich merkte, dass er anfing, meinen Ausführungen Glauben zu schenken, »und die Beschreibung der Mädchen tatsächlich auf Mädchen passt, die in den letzten Wochen entführt wurden … « Er machte eine Pause, die er mit einem »M hm« füllte. Dann sprach er weiter: »Ja, ich könnte mir vorstellen, dass das NYPD interessiert sein könnte.«
»Könnte?«, fragte ich. »Mister Hearing. Die Polizei muss das Grab öffnen. Liegt nicht mein Vater in dem Grab, dann wissen sie, nach wem sie suchen müssen. Patricia ist tot. Das Mädchen auf Hart Island ebenfalls. Vielleicht kann man die anderen drei Mädchen noch retten? Es gibt eine Chance , verstehen Sie? Aber die Polizei muss schnell handeln. Sie muss jetzt handeln.«
»Okay«, sagte Hearing. »Ich versuche es. Ich denke, es könnte klappen. Falls die Beschreibung passt.«
»Sie passt!«, sagte ich mit einer Überzeugung, die mich beinahe erschrak. Daher versuchte ich, etwas ruhiger weiter zu sprechen. »Ich bi n mir sehr sicher. Wie bei dem Bild mit Patricia. Dasselbe Gefühl.«
Hearing bestätigte nochmals, dass er sich sofort mit dem NYPD in Verbindung setzen würde und versprach, mir umgehend mitzuteilen, wie der Detective reagiert hätte.
Ich war überzeugt, dass die Polizei darauf anspringen würde. Auch Dave meinte, dass meine Chancen gut stünden. Meine Chancen. Es waren nicht meine . Es war eine Chance für die drei Mädchen, die hoffentlich noch am Leben waren. Auch wenn für Patricia und das andere Mädchen jede Hilfe zu spät kommen würde, wusste ich, dass diese Möglichkeit existierte. Sie konnten gerettet werden.
Wir wandten uns wieder den Papieren auf dem Wohnzimmerboden zu. Dave las sie und machte Witze über Dies und D as. Ich lachte und sortierte sie in den Schränken ein.
»Ich werde wahnsinnig!«, rief Dave plötzlich aus. Ich blickte ihn an und hob die Augenbrauen. Er starrte auf ein Dokument, das von meiner Position aus sehr offiziell aussah. Von der Regierung oder einem Rechtsanwalt. Dave schien zu lesen. Er schüttelte den Kopf. »Du alter Halunke! Du hast kein Wort zu mir gesagt!«
»Was ist das?«
» Dir , mein Freund, gehört ein Haus.«
»E in was?«
»Ja, ein Brief vom Notar deines Vaters. Dieses Dokument weist dich als Besitzer eines Einfamilienhauses auf Staten Island aus.« Er blickte abermals auf das Dokument. »Seit eineinhalb Monaten gehört es dir. Gratuliere!«
25
Ich las die Erbschaftsurkunde wieder und wieder, hoffte, dass ein Funke aufblitzte und ich mich an dieses Haus in der Elm Street auf Staten Island erinnerte. Aber da war nichts. Nichts, außer einem seltsamen Gefühl. Dieses Haus war nicht schön. Dieses Haus strahlte bereits auf dem Papier etwas Böses aus – und es musste einen Grund gehabt haben, dass ich Dave nichts von der Erbschaft erzählt hatte. Vielleicht hatte ich damals schon verdrängt, dass es existierte? Vielleicht hatte ich damals schon das Gefühl, dass dieses Haus etwas beherbergte , das man besser mied? Ich wusste es nicht.
Aber ich würde es
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