Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
wegwerfende Handbewegung. »Die meisten von ihnen haben wir vor dem Tod im Ketzerfeuer gerettet oder als verstoßene Nonnen vor einem Bettelleben auf der Straße bewahrt. Keine würde uns auf diese Weise benutzen und hintergehen.«
»Nicht jedes Opfer hat eine schöne Seele«, warf Lunetta skeptisch ein. Nein. Vor allem nicht Eliza, ihre erste Magd, die mit keiner noch so großen Auszeichnung und keinem noch so üppigen Geschenk zufrieden zu sein schien. Sie hatte Samuel beständig nachgestellt und kämpferische Frömmigkeit geheuchelt. Sie hatte Samuels Schwachstelle genau erkannt. Vor diesem Hintergrund war es gut, dass ihr Sohn nicht mehr im Hause, sondern bei Hof weilte.
Lambert überging den Einwurf seiner Frau. »Das Feuer der Jugend gehört nicht in die Politik. Wie konnte Samuel je so dumm sein, Flugblätter gegen Heinrichs Kirchenplünderungen in Londons Spelunken zu verteilen und an Tore zu nageln!«
»Er hat gegen das Unrecht gekämpft, das er als Schüler in Canterbury mit ansehen musste. Das Aufbrechen der heiligen Schreine, die Plünderung von Sankt Dunstans Ruhestätte, die Entweihung heiliger Leichname und ...«
»Menschen sind keine Heiligen, ich dachte, darin wären wir uns einig«, knurrte Lambert unwillig.
»Und darin, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg zu Gott finden darf. Die Heiligen von Canterbury sind und waren vielen Gläubigen Europas heilig, und die Frömmigkeit der Mönche, die die Schreine hüteten, war echt. Samuel musste zusehen, wie man sie erbarmungslos tötete«, verteidigte Lunetta ihren Sohn.
»Die meisten Nonnen und Mönche Englands wurden verschont, sogar mit Pensionen versehen.«
»In Canterbury haben die Reformer gehaust wie die Reiter der Apokalypse. Das hat Samuel gesehen, und er hat sich für die Opfer von Heinrichs Willkür und Gier eingesetzt. Für Menschen, die er liebte. Hättest du anders gehandelt?«
»Mit Flugblättern kann man Scheiterhaufen entfachen, nicht löschen! Wir versuchen, Menschenleben zu retten und keins zu riskieren«, brauste Lambert auf. »Unser ganzes Haus und die Opal-Bruderschaft hätte wegen Samuel untergehen können. Wir alle wären hingerichtet worden, wenn man ihn enttarnt und aufgespürt hätte. Wem wäre damit geholfen gewesen? Samuel kann so ein verflucht unberechenbarer Heißsporn sein.«
Lunetta lächelte verstohlen, legte ihre Hand an seine Wange und drehte sein Gesicht vom Fenster weg.
»Gerade du müsstest Verständnis haben für unseren Sohn, Liebster. Du warst in seinem Alter nicht anders! Sogar noch schlimmer. Denke daran, was du im Haus deines Vaters getan hast. Bei einem Festmahl hast du ihm die abgetrennten Hände eines gehängten Ketzers auftischen lassen, um deinen Glauben zu demonstrieren und gegen seinen einträglichen Waffenhandel aufzubegehren.«
»Ich gebe zu, das war albern und sogar widerwärtig. Auch ich war ein grüner Junge. Aber wenigstens stand ich nicht auf der falschen Seite«, verteidigte sich ihr Mann. Sein Gesicht war so flammrot wie sein Haar. »Wenn Samuel Kölns verlogene Katholiken kennengelernt hätte, genauso wie ich, müsste er sie verachten. Heuchler unter dem Krummstab beherrschten die Domstadt, verbrannten einen aufrechten Mann wie Clarenbach. Wenn er erlebt hätte, wie die katholischen Landesfürsten Deutschlands aufständische Bauern jagten und schlachteten wie Vieh ...«
»Das taten die lutheranerischen Landesfürsten am Ende auch!«
»Nur jene, die ihr Fähnlein nach dem Wind drehten und ...«
»Lambert, blinder Hass und Grausamkeit herrscht längst auf beiden Seiten. Denke an die Herrschaft der Wiedertäufer von Münster, denke an Calvin in Genf! Seine Schergen verbrennen Menschen, weil sie eine Spielkarte berühren, heimlich zu einem Heiligen oder Engeln beten oder zu tanzen wagen! Und denke an Lord Dudley, der unter dem Deckmantel reformerischer Glaubenstreue den König betrügt und seine Gegner ausschaltet.«
»Ich weiß, ich weiß ...«, knurrte Lambert widerwillig, »aber dass unser Sohn mir unterstellt, ich handelte aus Gier, und es darum ausgerechnet mit der Halbspanierin Maria Tudor hält! Er weiß nichts darüber, was dir und der Familie Zimenes in eurer Heimat von Spaniens Inquisition angetan wurde. Wer garantiert, dass Maria sie nicht auch in England einsetzen wird.«
Lunetta legte ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. »Schscht, nicht so laut. Vergiss nicht, was wir uns geschworen haben: Wir wollen – so weit es in unserer Macht steht – allen Glaubensverfolgten
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