Das Tattoo
auf dem Tisch in der Diele lag ein funkelnagelneues Handy. Eine Sekunde später ließ Frankie den Vorhang fallen und wandte sich ab. Sie lauschte in die Stille. Jetzt war sie zum ersten Mal seit ihrer Rück kehr allein, und sie wusste nicht genau, ob sie sich freuen oder fürchten sollte. Irgendwo in ihrem Hinterkopf lauerte immer noch die Angst. Aber Clay hatte alles dafür getan, dass sie nie wieder ohne Hilfe dastand. Und während das Auto für Frankie ein Stück mehr Freiheit bedeutete, bedeutete das Handy für Clay ein Stück mehr Sicherheit. Auf diese Weise konnte er sie ab sofort jederzeit und überall erreichen, um sich davon überzeugen, dass es ihr gut ging.
Während sich Frankie in dem stillen Wohnzimmer umschau te, rang sie immer noch mit sich selbst, ob sie ihren Plan wirklich in die Tat umsetzen sollte. Die bestellte Pistole konnte abgeholt werden. Aber war sie zu diesem Schritt wirklich bereit? Nicht ge nug damit, dass sie Clay hinterging, machte sie auch noch sich selbst etwas vor. Jawohl, sie hatte das Bedürfnis, sich selbst zu schützen, aber da war auch ein anderer Teil in ihr, der nach Rache dürstete. Irgendwer hatte ihr zwei Jahre ihres Lebens gestohlen. Gott, warum konnte sie sich bloß an nichts erinnern?
Mit einem Aufseufzen ging sie in die Küche, um das Geschirr wegzuräumen .und anschließend in der Wäschekammer eine Waschmaschine anzustellen. Später war immer noch Zeit, um über die Pistole nachzudenken. Sie konnte es sich in Ruhe überle gen.
Nachdem sie die Spülmaschine eingeräumt hatte, wischte sie Tisch und Anrichte ab. Als sie das Geschirrtuch zum Trocknen aufhängte, fiel ihr Blick auf den kleinen Eckschrank, in dem Clay das Geld deponiert hatte, das er in ihrer Hosentasche gefunden hatte. Sie öffnete die Schublade, nahm die Scheine heraus und starrte sie an, als warte sie darauf, dass sie jeden Moment eine Er klärung abgaben.
Doch nichts passierte.
Sie erinnerte sich nicht.
Und hatte auch keine Eingebung.
Mit gerunzelter Stirn legte sie das Geld wieder in die Schubla de zurück. Sie musste Wäsche waschen. Das war es, worauf sie sich konzentrieren sollte, und nicht darauf, ihr und Clays Leben durch ein ganz bewusstes Täuschungsmanöver noch komplizier ter zu machen.
Beim Sortieren der Kleider fiel ihr Blick auf Clays Harley Da vidson-T-Shirt. Obwohl es alt und ausgewaschen war, war es ihr Lieblingsnachthemd. Sie drückte es lächelnd an ihre Brust und dachte an den Mann, der ihr Ehemann war.
Schließlich ließ sie das T-Shirt seufzend auf einen Stapel mit dunkler Kleidung fallen, füllte die Trommel und stellte die Maschine an. danach ging sie zurück in die Küche, wo sie sich nach weiterer Arbeit umsah. Dabei fiel ihr Blick wieder auf die Schub lade. Sie biss sich auf die Unterlippe und wandte sich ab.
„Denk einfach an etwas anderes”, brummte sie, während sie ins Wohnzimmer ging und den Fernseher anstellte.
Eine Talkshow und sieben Werbeblöcke später war sie immer noch nicht ruhiger. Sie warf einen Blick auf die Uhr auf dem Ka minsims. Kurz vor zehn. Clay würde erst in mehr als sechs Stun den nach Hause kommen.
An die Sendung schloss sich ein kurzer Nachrichtenüberblick an. Der Wetterbericht versprach Schnee, und dann kam ein Be richt über die immer noch andauernden Aufräumungsarbeiten nach dem Erdbeben in Südkalifornien.
Während sie die Fernsehbilder betrachtete, verspürte Frankie plötzlich ein heftiges Kribbeln im Nacken. Als sie auf die einge stürzten Gebäude und in die verzweifelten Gesichter der Men schen schaute, wurde ihr leicht schwindelig.
Renn weg, Francesca, renn!
Sie schrak zusammen und fuhr herum, weil sie glaubte, hinter
sich eine Stimme gehört zu haben, aber da war niemand. Sie sprang von der Couch auf und rannte zur Haustür, um sich da von zu überzeugen, dass sie abgeschlossen war. Anschließend ging sie durchs ganze Haus und überprüfte sämtliche Türen und Fenster, bis sie sich sicher sein konnte, dass sie tatsächlich allein war.
Noch während sie im Flur stand, in die Stille lauschte und darauf wartete, die Stimme wieder zu hören, drang ihr langsam eine Erinnerung ins Bewusstsein.
Sie sah sich laufen. Da war eine lange Treppenflucht. Fenster scheiben zerbarsten krachend. Sie runzelte die Stirn, als sie versuchte, durch den Spalt der offen stehenden Tür zu schauen. Da war Grün, viel Grün. Und massenhaft Bäume. Und alle stürzten um. Alles stürzte ein. Sie schloss erschauernd die Augen, wäh rend sich
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