Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
auf ungefähr fünf Uhr am Morgen
festgelegt. Kurz darauf war Scherrmann am Friedhof gewesen. Und für den Mord an
Lübbo Krayenborg hatte er überhaupt kein Alibi vorzuweisen.
Aber, wie zu erwarten, hatte
Scherrmann auch für seinen nächtlichen Streifzug durch Canhusen eine Erklärung
gehabt. Er war eingeladen gewesen, bei einer gewissen Familie Coordes, die den
70. Geburtstag der Mutter feierte. Schon früh am Abend war er mit weiteren
Nachbarn zum Bogenmachen gegangen, später dann hatte man sich einem Buffet und jeder
Menge Bier und Schnaps gewidmet. Familie Coordes war Büttner ein Begriff, denn
mit der Tochter, Tomke Coordes, hatte er in einem anderen Fall mal intensiv zu
tun gehabt. Sie waren absolut vertrauenswürdig und hatten Scherrmanns Alibi
bestätigt. Er war tatsächlich bis um ca. halb sechs am Morgen auf der
feuchtfröhlichen Feier geblieben und dann zu Fuß nach Hause gegangen.
Nun verstand Büttner auch, warum
so viele Canhuser auf der Beerdigung von Lübbo Krayenborg so übernächtigt
ausgesehen hatten. Auf die Frage, ob man eine solch große Feier so kurz nach
zwei brutalen Tötungsdelikten in der Nachbarschaft denn nicht als pietätlos
empfunden habe, hatte Scherrmann gelächelt und den Kopf geschüttelt. „Nein“,
hatte er gesagt, „im Gegenteil waren wir alle der Meinung, dass man gar nicht
oft genug feiern kann, denn schließlich haben wir ja jetzt brutal vor Augen
geführt bekommen, wie schnell das Leben vorbei sein kann.“
Immerhin hatte Büttner bei dieser
Gelegenheit in Erfahrung gebracht, dass auch Gustav Grensemann auf der Feier
gewesen war. Er hatte ordentlich gebechert – was seinen deutlich erhöhten
Alkoholspiegel bei der Obduktion erklärte – und war dann gegen drei Uhr in
Begleitung von Menno Buurmann und Rudolf Lampe gegangen. Also hatte sich
Büttner auf den Weg zu diesen zwei Herren gemacht, was ihn allerdings auch
nicht weitergebracht hatte. Sie hatten geschwiegen. Wie immer.
Nun saß er schlecht gelaunt mit
seinem Kollegen Hasenkrug in einem Café am Emder Stadtgarten, diskutierte mit
ihm den Fall und ließ sich zum Mittagessen eine Buttercremetorte und einen
Capuccino schmecken. Seine Frau hatte zwar erst am Morgen festgestellt, dass er
dringend mal eine Diät machen müsse. Aber das musste jetzt warten. Wenn Büttner
einen so komplizierten Fall hatte wie diesen, dann brauchte er Nervennahrung.
Und die bestand nun mal nicht aus Salatblättern und Trockenobst.
Gerade, als Büttner beschlossen
hatte, sich einen weiteren Capuccino zu gönnen und die Bedienung rufen wollte,
schnappte er vom Nachbartisch die Worte Canhusen und Lübbo auf.
Und noch ein weiteres Wort war zu vernehmen gewesen, das sich anhörte wie Schmuggel .
Neugierig drehte er sich um und sah zwei ältere Damen um die achtzig, die sich
angeregt unterhielten und dabei jede Menge Apfelstrudel mit Vanilleeis und Schlagsahne
in sich reinschaufelten.
„Entschuldigung“, sagte er und
lächelte die Damen freundlich an, „ich habe zufällig mitbekommen, dass Sie über
Canhusen sprechen. Geht es dabei um die drei Morde?“
„Warum wollen Sie das denn
wissen?“, fragte eine der eher korpulenten Frauen und beäugte ihn misstrauisch
von oben bis unten.
Büttner kramte in seiner
Jackentasche, zog seine Polizeimarke hervor und hielt sie den Damen unter die
Nase.
„Aaah“, rief die Frau erfreut,
„Sie sind von der Polizei! Na, das ist ja wie im Krimi! Untersuchen Sie etwa
den Mord an Lübbo Krayenborg?“
„Ja, ich leite die Ermittlungen,
in allen drei Mordfällen. Mein Name ist David Büttner. Und das hier neben mir
ist mein Kollege Sebastian Hasenkrug.“ Er ließ die Marke wieder in die Jacke
gleiten. „Haben Sie Lübbo Krayenborg gekannt?“
„Ja, sicher, sicher. Ach, was ist
das nur für eine furchtbare Geschichte!“ Die Frau schüttelte so heftig mit dem
Kopf, dass die kleinen grauen Locken ihrer Dauerwelle auf und ab wippten. Ihre
Augen aber straften ihr angebliches Entsetzen Lügen. Sie leuchteten geradezu
vor Sensationslust und Entzücken.
„Ja“, sagte nun auch ihre
Nachbarin, die eine ganz ähnliche Frisur hatte, „wir haben Lübbo gut gekannt.
Wissen Sie, wir sind aus dem Nachbarort von Canhusen, aus Loppersum. Früher
haben wir auch viel gemeinsam unternommen, als Kinder und dann auch, als wir
selber Kinder hatten. Aber irgendwann haben wir uns aus den Augen verloren.“
„Dann haben Sie vielleicht auch
Tammo Freerksen und Siebo Manninga gekannt?“, fiel Büttner mit der Tür
Weitere Kostenlose Bücher