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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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Trockenen. Er geht in die Ecke, hockt sich nieder mit dem Rücken zur Wand, legt die Hände ums Gesicht und weint.
    Nach einer Weile hört er auf. Er spricht langsam und tonlos. »Ich will dich nicht fesseln. Ich würde dir gern Hände und Beine losbinden, damit du ein Bad nehmen und frische Sachen anziehen kannst.«
    »Unbeaufsichtigt?«
    »Natürlich.«
    »Und dann darf ich gehen?«
    »Nein. Dann lege ich dir wieder die Fußfesseln an.«
    »Verpiss dich.«
    »Das ist nur zu deinem Besten.«
    »Ist es nicht.«
    »Du bist irregeleitet. Du bist momentan geistig verwirrt. Ich behalte dich so lange hier, bis du wieder zur Vernunft gekommen bist.«
    »Deine Definition von Vernunft setzt voraus, dass ich so denke wie du . Du bist geistig verwirrt. Man sollte dich so lange fixieren, bis du dich meinen Ansichten an schließt.«
    Er schaut mich verdutzt an, dann lacht er unvermittelt. Ich liege auf der Seite in meinen pissfeuchten Klamotten, die Wange auf dem kratzigen Teppich, und Dad hockt in der Ecke und lacht mich aus. Ich breche in Tränen aus. Er kommt zu mir gekrochen und hilft mir, mich aufzusetzen.
    »Es tut mir leid, Jess. Bitte, bitte mach das nicht schlimmer, als es ist. Wenn du mir versprichst, dass du brav bist, binde ich dir die Arme los.«
    »Weshalb sollte ich das versprechen?«
    »Es ist sinnlos, wenn du dich wehrst. Du wirst mich damit nicht umstimmen, sondern dir nur selber wehtun.«
    »Wenn du von einem Vater erfahren würdest, der seine Tochter einsperrt, weil ihm ihre Ansichten nicht passen, würdest du das empörend finden.«
    »Das ist es auch. Das würde ich. Aber ich weiß mir nicht anders zu helfen.«
    »Lass mich gehen. Das ist mein Leben.«
    »Aber du hast nicht das Recht, es wegzuwerfen.«
    »Heuchler.«
    »Hör auf, Jess. Möchtest du baden? Das Wasser ist heiß.«
    »Heuchler! Heuchler! Heuchler!«, schreie ich.

6
    Als Mandys Depression immer schlimmer wurde, wollte Mum sie ins Krankenhaus bringen. Aufgrund des Mangels an Pflegepersonal wurden jedoch immer mehr Stationen geschlossen. Dann fand sie ein Tagesheim. Allerdings wurde es von den Noahs betrieben. An dem Abend kam Mum früh nach Hause und erzählte uns davon. Dad und ich besprachen gerade meine Studienoptionen. Ich schwankte noch, ob ich Biologie studieren oder eine neue Sprache lernen sollte. Dad sagte: »Wenn wir jemals Wissenschaftler gebraucht haben, dann heute.« Ich aber schreckte davor zurück, Baz zu sagen, dass ich Wissenschaftlerin werden wolle. Es gab da so ein Schema, mit dem man herausfinden konnte, welche Fächer man kombinieren konnte, und wir saßen am Küchentisch und knobelten herum, während im Hintergrund leise das Radio brabbelte.
    Zwischendurch lenkten wir uns mit einem perfekten Verbrechen ab, bei dem es darum ging, dem Opfer zu sagen, dass es nicht gut aussehe, und seine Morgen- und Abendtemperatur zu überwachen. Man sollte mit be sorgter Miene aufs Fieberthermometer schauen und dann ein Kreuzchen eintragen, das ein Kästchen weiter oben saß als am Vortag. Die Fieberkurve würde demnach stetig bis in unglaublich gefährliche Höhen ansteigen. Dad beharrte darauf, dass allein schon das Wissen um den eigenen lebensbedrohlichen Zustand einen Menschen töten könne. »Weißt du, wie die Römer Fieber behandelt haben? Man schnitt dem Patienten die Nägel und pappte die Schnipsel mit Wachs dem Nachbarn an die Tür. Das Fieber ging dann an den Nachbarn über. Ich bin geheilt, und du wirst krank. Der Geist ist ein machtvolles Instrument!«
    Ich fragte den Quell aller Weisheit, was er von Voodoo halte, als Mum hereinkam. Es tobte gerade ein heftiges Sommergewitter, und es war gemütlich, wie der Regen gegen die Fensterscheiben trommelte. Wir hörten sie erst, als sie in die Küche trat, noch im Regenmantel und klitschnass.
    »Du meine Güte«, sagte Dad, »wieso hast du nicht angerufen, dass wir dich abholen?«
    »Ich wollte lieber zu Fuß gehen«, erwiderte sie. »Wenn’s recht ist.«
    Dad zuckte mit den Schultern. Die gemütliche Stimmung stand auf Messers Schneide.
    »Außerdem gab es eine Straßensperre.« Sie holte ein feuchtes gelbes Flugblatt aus der Manteltasche. Darauf stand in Großbuchstaben: Gottes Botschaft an sein Volk , dann folgten klein gedruckte Abschnitte, und ganz unten stand Kinder Noahs . »Seht euch das mal an.«
    Mein Dad rollte mit den Augen. »Religiöse Fanatiker!« In dem Flugblatt stand, die Naturkatastrophen seien eine Warnung Gottes gewesen, doch die verblendeten Menschen hätten sie

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