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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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schneller auf den Punkt als ich.
    »Und du weißt nicht mal, wer es ist?«, fragte sie. »Mandy, das könnte jeder Beliebige sein – ein schmutziger alter Perverser, irgendein religiöser Spinner …«
    Ich hörte, wie Mandy am anderen Ende der Leitung dagegen argumentierte.
    »Joe hat recht«, sagte meine Mum. »Du wurdest einer Gehirnwäsche unterzogen. Jetzt hör mir mal zu. Ein Mann, den du nicht mal kennst – in deinem Haus. In deinem Bett …«
    Die Stimme im Hörer wurde lauter. Mum hielt sich das Telefon vom Ohr weg und sah mich kopfschüttelnd an. In eine Pause hinein sagte sie: »Hör mal, Mandy, du kannst das nicht machen. Ich möchte, dass du dort anrufst und – nein, nein, sei still – nein, ich möchte, dass du glücklich wirst, natürlich will ich das … das ist ungerecht …« Nach kurzem Schweigen legte Mum das Telefon weg. Eine Weile schaute sie es betrübt an. Dad kam in die Küche, noch im Mantel. »Hallo, mein nussbraunes Mädchen«, sagte er. Er wollte abends weg, deshalb brauchte ich nicht für ihn mitzukochen. Ich sagte ihm, es gäbe nur gebackene Kartoffeln, und er meinte grinsend, das habe er geahnt.
    »Joe«, sagte Mum. »Gib mal einen Moment Ruhe, ich bitte dich. Mandy sagt, sie wolle an einer dieser Massenhochzeiten der Noahs teilnehmen.«
    »Ich soll Ruhe geben?«, sagte mein Dad. »Ich hab doch nicht angefangen!«
    »Bitte …«
    »Eben noch wirfst du mir vor, ich würde dich missachten, und jetzt soll ich dir auf einmal helfen …«
    »Es tut mir leid«, sagte Mum. Sie rieb sich das Gesicht. »Wirklich.«
    »Was soll ich sagen?«
    Es entstand ein Schweigen. Mum schüttelte den Kopf, als wehrte sie ein zudringliches Insekt ab. »Es geht um Mandy«, sagte sie. »Können wir sie in die Klinik bringen?«
    »Das soll wohl ein Scherz sein. Man müsste schon alle Noahs für verrückt erklären, was sie offensichtlich auch sind, aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass die Ärzte sich mit Zwangsjacken auf den Weg machen.« Er küsste mich auf den Kopf und ging zum Wagen hinaus, ohne sich von Mum zu verabschieden.
    Mum besuchte Mandy am Samstag und brachte sie am Abend zu uns. Dad musste ihr helfen, sie aus dem Wagen zu zerren. Mum gab ihr eine Schlaftablette und blieb bei ihr im Gästezimmer sitzen, bis sie eingeschlafen war. Dann berichtete sie mir und Dad, was geschehen war. Als sie bei Mandy ankam, hatte sie die Nähmaschine ausgepackt und nähte an ihrem Hochzeitskleid. Sie hatte ein paar Spitzengardinen zurechtgeschnitten und hatte vor, sie auf einen hautfarbenen seidenen Unterrock aufzunähen. Mum versuchte in Erfahrung zu bringen, wer die Hochzeit organisierte, doch Mandy lachte nur und sagte: »Die Noahs haben mich frei gemacht!« Sie war vollkommen aufgedreht, hantierte an der surrenden Nähmaschine und kicherte, weil Mum so ernst war. Dann läutete das Telefon, und sie beeilte sich abzunehmen. Und fiel in sich zusammen wie ein geplatzter Luftballon.
    Man sagte ihr, sie sei zu alt, sie wollten bei der Massenhochzeit nur junge Frauen dabeihaben. Das brach ihr das Herz – für sie war es so, als würde sie ein zweites Mal von Clive verlassen. Bloß dass sie diesmal den Mann, den sie nicht heiraten würde, gar nicht gekannt hatte. Aber wie mein Dad erklärte, war es auch gar nicht der Mann, der sie interessierte. Er meinte, die Noahs wüssten, dass die Krankenhäuser und Kliniken nur junge Freiwillige als Schlafende Schöne akzeptieren würden. Das wären die Einzigen, deren Kinder überlebten. Mum hatte sie zu uns gebracht, weil sie fürchtete, Mandy könnte eine Dummheit machen. Dad nahm alle Tabletten aus dem Toilettenschrank und versteckte sie.
    Mandy blieb die ganze Woche über im Bett. Sie wollte nicht essen und trank kaum etwas; sie lag einfach nur mit versteinerter Miene da. Mum ließ sie nur ungern allein, doch sie musste zur Arbeit gehen. Dad nahm sich ein paar Tage frei, und anschließend kümmerte ich mich um sie, wann immer ich Zeit hatte. Es war traurig; ich brachte ihr etwas zu trinken, und sie lag einfach nur mit geschlossenen Augen da, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Wenn ich sie bat zu trinken, drehte sie langsam den Kopf weg, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich kniete ich am Bett, hielt ihr die Hand und weinte ebenfalls. Sie öffnete einen Spalt weit die Augen, als wären ihre Lider zu schwer, um sie anzuheben, und murmelte: »Sie haben es versprochen. Gott erhört deine Gebete, er wird dir deinen Herzenswunsch erfüllen.«
    »Mandy, niemand

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