Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
Vom Netzwerk:
ich. Ich lag reglos und schwer atmend da und ließ mich aufs weite Meer hinaustreiben, das sich vor mir auftat. Bereit, etwas zu tun, das keinen wirren Streit und Kompromisse zulassen würde. Etwas zu tun, das etwas bewirken würde. Etwas, das in meiner Macht lag und wobei ich nicht auf die Hilfe anderer angewiesen wäre. Etwas, das meinen Dad stolz machen würde. Ich zog Kissen und Federbett vom Bett und deckte mich auf dem Boden zu, damit ich weiter die Buche anschauen und die sich entfaltende Freiheit genießen konnte. Die Freiheit zu handeln. Die Freiheit, einen eigenen Entschluss in die Tat umzusetzen.

Mittwochabend
    W enn wir diskutieren, reitet er ständig darauf herum. »Du hast dich wegen mir gemeldet. Wegen dem, was ich gesagt habe. Hätte ich es nie erwähnt, hätte es sich nicht bei dir festgesetzt.«
    Draußen ist es dunkel, und er hat zwei Becher Kakao mit nach oben gebracht und mir die rechte Hand losgebunden, damit ich den Becher am Griff halten kann.
    »Dad, binde mir auch die andere Hand los. Bitte.«
    Er nimmt mir den Becher ab (offenbar habe ich ihn gelehrt, mir zu misstrauen!), bindet mir die Linke los, reicht mir wieder den Kakao und begibt sich außer Reichweite.
    »Ist schon gut. Ich mache nichts. Ich wollte mir nur die Hände wärmen.« Ich knicke die Hand ab und wackele mit den Fingern. Purer Luxus. Ich lege beide Hände um den Becher. Das ist ein festes Dreieck des Trostes. Ich verliere mich in der wundervollen Wärme und dem Duft; es gibt nur noch den Kakao.
    Ich muss mich zwingen, die Auseinandersetzung fortzuführen. Das Ziel, der Moment, da ich ihn überzeugt hätte, scheint mir so nah, dass ich unbedingt weiterbohren muss. Irgendwann wird er ein Einsehen haben. »Ich habe mich nicht wegen dir gemeldet. Hättest du nicht davon gesprochen, hätte ich es irgendwann in den Nachrichten gehört. Das ist meine Bestimmung, und irgendwie hätte sie mich gefunden.«
    »Da kann ich dir nicht folgen, Jess. Das nehme ich dir nicht ab – dieses Bestimmungszeug, dieses Ich muss . Du bist ein freier Mensch. Du kannst alles Mögliche mit deinem Leben anfangen.«
    »Ich weiß. Hör zu. Ich will’s dir erklären – denn dabei geht es um Freiheit. Genau darum.«
    »Früher warst du nicht so fatalistisch. Was ist aus dem Mädchen geworden, das den Hinduismus absurd fand, als ich ihn dir erklärt habe?«
    »Quell aller Weisheit. Das ist kein Hinduismus. Das ist etwas, das ich weiß .«
    Er schüttelt den Kopf. Draußen, irgendwo in der dunklen Nacht, bellt ein Hund. Gestern habe ich zu schreien versucht, da hat er mich geknebelt; mein Rachen fühlt sich noch ganz wund an, und die Unterlippe ist an der Seite aufgeplatzt. Erklären. Mich ihm erklären; wenn er mich nur verstehen würde.
    »Und ich war nicht mal da«, sagt er. »Ich habe es dir erzählt, und dann habe ich mich aus dem Staub gemacht. Wenn ich da gewesen wäre und du hättest mit mir reden können …«
    »Das hätte nichts geändert. Es war ja nicht so, als hätte ich gedacht, ja, prima, da mache ich mit . Verstehst du? Die Erkenntnis ist gewachsen. So habe ich begriffen, dass ich es tun muss.«
    »Jess …«
    »Okay. Okay. Ich werd dir sagen, wie es war. Es war so, als würde man im Meer schwimmen.«
    Er wackelt mit den Augenbrauen und schaut mich an wie früher, wenn er dachte, ich spinne, und ich muss lachen.
    »Doch, wirklich. Hör zu. An einem weiten Strand stehen die Wellen für MTS , und man versucht, ins Wasser zu kommen. Erst steht man am Rand des Strandes und spielt herum. Aber die Flut kommt. Die ersten Wellen umschäumen die Füße, die sind kalt, aber noch ganz klein, und man kann lachend den Strand entlanglaufen.«
    »Erläutere das, du Poetische.«
    »Das ist der Moment, als ich zum ersten Mal von MTS gehört habe, als ich noch zu jung und dumm war, um es zu verstehen. Dann rollen größere Wellen heran, eine nach der anderen. Sie brechen sich an den Beinen, und man spürt die Kraft des Wassers und den Sog an den Knöcheln. Dann steigt das Wasser, die Wogen prallen gegen den Körper, und man taumelt unter ihrer Wucht, wird beinahe umgeworfen.«
    »Ich verstehe.«
    »Man bekommt die Wucht des Wassers zu spüren. Aber man hält stand, widersteht ihr und geht weiter. Und dann ist das Wasser auf einmal richtig tief, Kopf und Schultern schauen noch heraus, und mit den Füßen steht man auf dem flachen Sand, und wenn die nächste Welle kommt, dann bricht sie nicht, denn das tun sie näher am Strand. Das Wasser steigt einfach nur

Weitere Kostenlose Bücher