Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Garage und stopfte Teddys, Bücher und DVD s hinein; den Rest packte ich in Plastiksäcke. Der Karton war zu schwer für mich, aber die Säcke könnte ich mit dem Bus in die Stadt bringen, zu einem der Secondhandläden für mutterlose Kinder.
Als ich den letzten Sack auf den Treppenabsatz geschleift hatte und zurückging, um mein Zimmer in Augenschein zu nehmen, fehlten all der Krimskrams und das Gewusel einer Person, die nur an sich selbst dachte. Man sah die hellen Stellen in den Regalen, wo Bücher, Schmuckkästchen, Lavalampe und dergleichen gestanden hatten. Mir gefielen die geisterhaften Umrisse. Ich dachte, jedes Mal, wenn ich ins Zimmer komme, jedes Mal, wenn ich etwas vermisse und die Lücken sehe, werde ich an sie denken. Am liebsten hätte ich mir die Hand unter die Rippen geschoben und mich ins Herz gekniffen, so fest, dass ich nichts anderes mehr fühlte.
Es war schon fast Mitternacht, doch ich wusste, dass ich nicht würde einschlafen können. Ich nahm mein Federbett mit nach unten und stellte den Fernseher leise an. Das erinnerte mich an die Wochenenden, als ich klein war und morgens, wenn meine Eltern noch schliefen, nach unten geschlichen war, den Fernseher leise angestellt, mich aufs Sofa gekuschelt und mit Kissen zugedeckt hatte, damit ich es warm hatte. Wenn Dad aufstand und Tee machte, schaute er zu mir herein und sagte: »Da ist ja das kleine nussbraune Mädchen! Hast dir ein kuschliges Nest gebaut, wie?« Da konnte ich endlich weinen. Beim Gedanken an Mum und Dad.
Irgendwann war ich wohl eingeschlafen, denn als ich die Augen wieder aufschlug, klingelte das Telefon, und es war Morgen. Dad rief an und wollte wissen, ob alles in Ordnung sei. Er berichtete, sie hätten Mandy eine Schlaftablette gegeben, und sie und Mum schliefen gerade. Wir kamen überein, dass ich vielleicht vorbeikommen könnte, wenn sie nach dem Aufwachen ruhiger sei. Dads Stimme war tonlos und müde, doch er meinte, er müsse gleich zur Arbeit, da sei etwas im Gange.
Ich machte Frühstück. Es gab kein Brot mehr, deshalb aß ich Weetabix mit Milch. In den Nachrichten wurde gemeldet, der Flughafen sei wieder geöffnet. Man sah Bilder von der Evakuierung und den Gepäckbergen. Es hieß, in einigen Koffern sei Sprengstoff gewesen, und es handele sich um einen Terroranschlag. Experten untersuchten weitere herrenlose Gegenstände. Zwei Personen halfen der Polizei angeblich bei den Ermittlungen; ich fragte mich, ob sie zu YOFI gehörten. Der Einsatz von Sprengstoff war nicht geplant gewesen, was ging da vor? Dann kam ein Bericht über Wettenhall, über den Ausbruch der Auseinandersetzungen. Die Zahl der Opfer wurde bestätigt. Die gewalttätigsten Ausschreitungen hatten zwischen den Tierbefreiern und FLAME stattgefunden. Es wurde gezeigt, wie ein Bus mit FLAME -Anhängern vor dem Forschungslabor vorfuhr, vor dessen Tor sich ALF -Demonstranten mit Plakaten versammelt hatten. Die Kamera zoomte auf die vorderste Frau im Bus. »Diese Sturköpfe wollen Pelztiere retten!«, rief sie. »Die Wissenschaftler tun nur ihre Arbeit!« − »Wir wollen dafür sorgen, dass sie weiterarbeiten können!«, rief eine andere. »Wir kämpfen für all die Frauen, die gestorben sind!« Ich musterte ihre Gesichter, als sie ausstiegen, denn ich wollte Sal sehen. Ein Gruppe von Noahs brüllte: »Schande!« Sie waren dagegen, dass Tieren menschliche Embryos eingepflanzt wurden. Die Bilder rauschten vorbei – Rangeleien, Rauch, Polizisten, die sich Demonstranten griffen, Menschen, die in Polizeitransporter verfrachtet oder in Krankenwagen verstaut wurden.
Es hieß, die Polizei habe die Lage vor dem Forschungslabor am Vormittag unter Kontrolle, doch aus der Luft sah man nur Chaos, ein Kriegsgebiet – verkeilte Fahrzeuge, brennend, verlassen oder umgeworfen und zu Barrikaden zusammengeschoben. Menschen waren auf die Böschung geklettert, krochen unter Zäunen hindurch und stolperten wie Flüchtlinge über gepflügte Felder. New-World-Kids tobten umher. Auch ein paar Banden mischten mit – eine durchbrach die Polizeiabsperrung und fuhr in einem alten Bus über die andere Fahrspur der Schnellstraße. Sie nahmen sich unbesetzte Autos vor und schnappten sich alles, was sie kriegen konnten – Essensvorräte, Geld, Kleider. In London war in den Büros der Firma, der das Forschungslabor gehörte, ein Brandsatz hochgegangen, und die Schwangerschaftsabteilung des Charing Cross Hospital, eines der größten Zentren für Schlafende Schöne, stand irgendwie unter
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