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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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durchzusetzen, und schließlich willigte er ein. Bedauerlicherweise fehlte mir die Geistesgegenwart, es ihr gleichzutun.
    Aber so war es halt. Ich schlüpfte zwischen den Demonstrantinnen hindurch und nahm mir sogar Zeit, dem verlegenen Mädchen zu sagen: »Mein Dad wünscht euch viel Glück!« Ich war aufgeregt. Aufgeregt wegen Montag, aufgeregt wegen des Wochenendes. Ich glaubte, Mum und Dad wären fast schon überzeugt, sodass die Nachricht, dass das Kind zu ihnen käme, den Ausschlag geben würde. Ich stellte mir vor, was wir unternehmen würden; zu den Dovestones spazieren und nach dem Eisvogel Ausschau halten; wie ich die letzten kostbaren Minuten meines Lebens genießen würde.
    Und als Dad mich bat, mit ihm zusammen Oma Bessies Haus einen Besuch abzustatten, und meinte, sie wollten es mutterlosen Kindern schenken, war ich glücklich. Glücklich darüber, dass wir etwas Nützliches zusammen unternahmen.

Frei t agmorgen
    B eim Aufwachen habe ich einen klaren Kopf. Heute ist der Tag. Heute muss es enden. Mir tun Füße und Beine weh, und ich habe steife Knöchel. Meine Kleidung ist widerlich. Als er mir das Frühstück bringt, frage ich ihn, ob ich baden darf.
    »Selbstverständlich.« Er geht ins Bad und lässt Wasser ein. Als ich den braunen Toast mit der Pflaumenmarmelade verzehrt habe, quillt schon der Dampf ins Zimmer, und er stellt das Wasser ab und kommt mit dem Schlüssel für das Fahrradschloss zurück. »Versprich mir, dass du keine Dummheiten machst.«
    »Ich werde keine Dummheiten machen.«
    Er öffnet das Schloss. Ich massiere mir die Fußknöchel, dann versuche ich aufzustehen. Ich bin so krumm und wackelig wie eine alte Frau. Er muss mich am Ellbogen stützen, ich kann kaum gehen.
    »Das heiße Wasser wird dir guttun«, sagte er. »Du hättest schon gestern baden sollen. Ich hab dir frische Sachen ins Bad gelegt.«
    Er stützt mich bis zur Badezimmertür, dann tritt er zurück und schließt die Tür. Ich lege den kleinen Riegel vor. Jetzt bin ich allein.
    Eine Wonne.
    Eine Wonne, mir die stinkenden Sachen auszuziehen und die Hand durchs zu heiße Wasser zu schwenken. Zu beobachten, wie die kalte Luft brodelt und mir die Dampfwolken ins Gesicht schlagen. Mich am Wannenrand festzuhalten und versuchsweise erst den einen kraftlosen Fuß ins Wasser zu tauchen – zu heiß, aber okay – und dann den anderen. Langsam ins Wasser zu gleiten, so wie sich eine hektische Henne auf ihrem Nest niederlässt, und die wundervolle Wärme des an meinen Körper schwappenden Wassers zu spüren, das mich rosig färbt wie eine Krabbe. Der dumpfe Schmerz in den Knöcheln löst sich von den Knochen und verflüchtigt sich.
    Ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter, lehne ich mich zurück, bis ich bis aufs Gesicht ganz mit Wasser bedeckt bin. Das Wasser hüllt mich ein, umfängt und liebkost mich wie warme Seide. Das ist das tollste Bad meines Lebens. Ich schaue in den Dampf und überlege, was Dad jetzt wohl macht. Ich stelle mir vor, dass er auf der obersten Treppenstufe sitzt (für den Fall, dass ich herausgestürzt komme und wegzulaufen versuche), die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf auf die Hände. Wie er dumpf die Tapete anstarrt. Verunsichert. Unglücklich. Ich muss ihn da rausholen, muss ihn vor sich selber retten.
    Mir wird zu heiß. Langsam hebe ich nacheinander meine steifen Glieder an, Bein, Bein, Arm, Arm, und halte sie genussvoll in die vernebelte Luft, um sie abzukühlen. Mein Körper ist warm und gesund und strotzt vor Lebendigkeit. Ich habe das Sagen. Ich habe die Macht, denn ich bin diejenige, die weiß, was zu tun ist.
    Als ich mich gewaschen habe, steige ich aus der Wanne und wickele mich in das alte, wohlvertraute Handtuch. Es ist das grün gestreifte von zu Hause – hat Mum es ihm eingepackt? Ich stelle mir vor, wie sie die Sachen in den Kofferraum gepackt haben, als wollten sie Urlaub machen. Aber ihre Gesichter waren grimmig und grau, ihre Stimmen gepresst und gedämpft … Ich will nicht daran denken. Das Problem ist, es ist nicht genug Luft im Bad, der Dampf ist erstickend. Je länger es andauert, desto schlimmer wird es für sie. Ich muss ein Ende machen. Ich klettere auf den Rand der Badewanne, um das kleine Fenster zu öffnen, und habe einen Geistesblitz. Okay, ich kann es tun. Ich kann ein Ende machen.
    Ich trockne mich rasch ab und ziehe saubere Sachen an. Er hat mir ein blaues T-Shirt von Mum hingelegt, aber es passt mir ganz gut. Ich ärgere mich nicht darüber, dass meine Schuhe
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