Das Testament der Jessie Lamb: Roman
rieb er sich die Hände. »Cath hatte recht, das ist ein Minenfeld. Im Vergleich dazu sind die Aktionen der Mütter für das Leben ein Klacks.« Er schob mir die Zeitung zu und erhob sich. »Ich mache Kaffee. Möchtest du auch einen?«
Die ersten drei Seiten befassten sich mit dem Thema. Es gab Fotos von Mitgliedern der Mütter für das Leben und von Spendern. Und das körnige Foto eines Schafes von der Website der Tierrechtler. Dann war da noch ein Luftfoto von den Unruhen von Wettenhall. Und eine Liste von stichpunktartigen Vorschlägen.
neue (Post- MTS -)Embryos: individuelle Spendergenehmigung für wissenschaftliche Nutzung
Prae- MTS -Embryos: Biologische Eltern erhalten Besitzansprüche auf mindestens drei Embryos und haben ein Jahr Zeit, um dem Einsatz von Leihmüttern zuzustimmen.
Nach zwölf Monaten gehen alle Prae- MTS -Embryos in den Besitz des Staates über, der sie ausgewählten Freiwilligen einpflanzen kann.
Dad war so froh, dass ich schon das Schlimmste fürchtete, doch als ich den Artikel las, wurde mir klar, dass es halb so wild war. Weshalb sollten nicht die biologischen Eltern meine Tochter aufziehen? Auch biologische Eltern wären auf eine Leihmutter angewiesen. Sie würden doch bestimmt jemanden akzeptieren, den die Klinik bereits untersucht hatte? Als ich das Dad sagte, lachte er.
»Das sind Leute, deren Embryos noch immer eingefroren sind, weil sie schon vor drei, sechs oder zehn Jahren nicht wussten, was sie mit ihnen anfangen sollten. Und jetzt bekommen sie eine Frist von einem weiteren Jahr eingeräumt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie gleich morgen losrennen und sich Freiwillige suchen!« Er brachte Mum einen Becher Kaffee nach oben. Ich las die Stellungnahme der Sprecherin von Mütter für das Leben . Sie sagte, sie wollten weiter für die Rechte der Leihmütter und deren Familien kämpfen. Dad kam zurück.
»Sie werden bis zum letzten Drücker zögern, weil man ihnen die Zeit lässt und weil sie auf einen wissenschaftlichen Durchbruch warten. Je länger sie warten, desto wahrscheinlicher wird er.«
»Aber wenn es keinen wissenschaftlichen Durchbruch gibt …«
»Dann kannst du dich nächstes Jahr dazu melden«, sagte er selbstgefällig.
Ich stellte den Fernseher an. Da kam das Gleiche. FLAME -Frauen begrüßten die Neuigkeiten überschwänglich und erklärten, sie wollten ein Eizellen-Spendenprogramm für die Forschung an Tierimplantationen organisieren. Die Mütter für das Leben organisierten Proteste. Wissenschaftler beklagten ein verlorenes Jahr, und die Politiker redeten davon, man müsse sich Zeit lassen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Das Telefon klingelte. Die Klinik teilte mir mit, Mr. Golding wolle mich am Nachmittag sprechen. Dann stimmte es also. Das Telefon klingelte wieder – Sal. Sie meinte, wie froh sie sei, sie hätte es nicht ertragen, wenn ich mein Leben weggeworfen hätte. Sie sagte, FLAME wolle die Aktionen auf die Kliniken mit den Schlafenden Schönen konzentrieren, ihr Ziel sei es, die Frauen ganz aus der Forschung herauszunehmen. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mit dem Zeug zu tun hättest«, sagte sie. »Ich will nicht, dass dir etwas passiert.«
Ich dankte ihr und legte auf. Dann vergewisserte ich mich, dass ich meine Glücksnonne in den Rucksack gepackt hatte.
29
Vor der Klinik standen Demonstrantinnen von FLAME mit ihren Plakaten . Schluss mit den Schlafenden Schönen. Schluss mit der Erniedrigung der Frauen . Eine trat an mich heran, als ich die Treppe hochging. Sie wirkte verlegen. »Entschuldigung …«
»Ich möchte nur meinen Dad besuchen – er arbeitet hier.«
»Hat er mit den Schlafenden Schönen zu tun?«
»Nein. Er züchtet Embryos für die MTS -Forschung. Für Tiere.«
Das Mädchen nickte erleichtert, und ich drückte gegen die Drehtür. Der Wachmann grinste und betätigte den Öffner. Als ich durch war, ging ich zu dem blauen Warteraum der Ambulanz, den ich von der Anmeldung her kannte. Rosa war natürlich schon da, und auch das schüchterne Mädchen Theresa. Ich nickte Theresa zu. Rosa wollte ich nicht anschauen. Bestimmt guckte sie hämisch. Ich spürte, dass ich knallrot war im Gesicht. Bevor das erste Wort fiel, trat Mr. Golding zusammen mit einer Krankenschwester ein. Er wirkte so mollig, freundlich und munter wie eh und je, und allein sein Anblick besserte meine Stimmung. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich vor uns drei. Die Schwester schaltete ihr Diktiergerät ein.
»Die machen mir das Leben
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