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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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»Das ist eine HAH O-Ausrüstung .«
    »Eine was?«
    »High Altitude   – High Opening. Eine Spezialausrüstung für Fallschirmabsprünge aus größter Höhe. Wenn man aus einem Flugzeug in zehntausend
     Metern bei minus 50   Grad abspringt, braucht man Sauerstoffmasken und Wärmekleidung. So was wie das hier.« Sie zeigte auf die Ausrüstung. »Diese
     Technik erlaubt es, mit kleinen Flügeln an der Kleidung und einem Spezialfallschirm bis zu 50   Kilometer weit zu segeln. Der Absprung erfolgt also in großer Entfernung vom Ziel und man fällt plötzlich und unbemerkt aus
     den Wolken auf seinen Feind.«
    »Mon dieu«, sagte Decker. »Das Sprengkommando des Mossads – im Auftrag des Vatikans.«
    »Sieht ganz so aus. Sie sind vermutlich aus einer umgeleiteten El-Al-Maschine gesprungen. Das können wir nachher überprüfen.
     Der Trupp ist jedenfalls drei Mann stark. Und sie sind illegal in chinesisches Territorium eingedrungen«, sagte Li Mai. Sie
     befahl zwei Soldaten, das Dach zu sichern und ihr Fluggerät zu bewachen. Die beiden anderen sollten sie und Decker begleiten.
    |357| Die Tür ins Innere des Palastes war offen. Das Schloss war aufgebrochen. »Hier sind die Israelis rein«, sagte Li Mai. »Los,
     jede Minute zählt. Wenn es nicht schon zu spät ist.« Sie rannten die Treppe hinunter.
     
    Viele Stockwerke weiter unten suchten die Spezialisten des israelischen Geheimdienstes ihren Weg durch das Labyrinth im tiefen
     Inneren des Potala Palastes. Sie hatten keinen Plan des Gebäudes wie Li Mai. Der enge Kegel ihrer Scheinwerfer konnte nicht
     jeden Winkel und jede Nische ausleuchten. So verloren sie viel Zeit und sahen den Mann in der schwarzen Uniform nicht, der
     im Dunkeln vor ihnen lauerte.
    Aber er sah und hörte sie.
    Als er die hebräische Sprache vernahm, verzog sich sein Gesicht zu einem hämischen, tödlichen Grinsen, und er entsicherte
     seine Waffe.
     
    Decker und Li Mai versuchten ebenfalls in den endlosen Verzweigungen der Räume und Korridore ihren Weg zu finden. Sie kamen
     dabei schnell voran. Der Thronsaal und verschiedene Räume zogen an ihnen vorbei wie monumentale historische Filmkulissen.
     Decker hätte gerne mehr Zeit gehabt, die Atmosphäre dieses Gemäuers auf sich wirken zu lassen und die Zimmer in Ruhe zu studieren.
    Er war an dem Ort, an dem all das geschehen war, was seine Gedanken und Fantasien seit Tagen in Atem gehalten hatte. Hier
     in diesem Palast wurden Sehnsüchte und Albträume wahr. Hier lebten Menschen in tiefster Verzweiflung. Oder in großer Hoffnung.
     Hier begann und endete die Geschichte eines Landes. Hier wurden Götter erschaffen und Menschen ermordet. Wie viele Seelen |358| mögen hier aus den Fenstern hinausgeblickt und um Rettung aus ihrer Not gefleht haben? Wie viele hatten über Intrigen gebrütet?
    Deckers Blicke wanderten andächtig an den kalten Steinen der Wände entlang. Mit seiner Lampe leuchtete er die reichen Verzierungen
     ab. Das Gebäude war ein Ort der Weltgeschichte, aber jetzt wirkte es wie eine verlassene Theaterbühne mitten in der Nacht.
     Was war hier nicht alles geschehen. Dramen und Tragödien. Heinrich Harrer war durch diese Gänge gewandert. Die legendäre Expedition
     der Nazis war hier gewesen. Die jungen Dalai Lamas schrien, als sie umgebracht wurden.
    Sie kamen am Privatgemach der Gottkönige vorbei. Hier hatte der jetzige junge Dalai Lama mitten in all dem Ungeziefer nachts
     alleine wach gelegen. Von hier aus hatte er auf die aufständischen Kampas vor den Toren hinuntergeblickt. Von hier musste
     er sich für immer verabschieden, als er nach Indien floh.
    Diese Mauern hatten viel gesehen.
    Sehr viel.
    Sie drangen tiefer in das Gebäude ein. Es war unheimlich wie ein Geisterschloss. Bizarre Verzierungen und grimmige Fratzen
     überall. Die farbenreiche tibetische Ausschmückung an Säulen und Wänden machte alles zu einem Traumbild. Einem Traum ohne
     Erwachen.
    Ein Augenpaar im Dunkeln verfolgte jeden ihrer Schritte und beobachtete besonders den Deutschen.
     
    »Vorsicht«, rief Li Mai. »Da liegt einer.« Vor ihnen lag ein Toter im Kampfanzug, um ihn herum eine Blutlache. Einer der chinesischen
     Soldaten drehte den Toten um.
    Li Mai leuchtete auf ein Wappen auf der Brust des |359| Mannes. »Siehst du? Das Abzeichen der Sajeret Matkal«, sagte sie respektvoll. »Eine Spezialtruppe der israelischen Fallschirmjäger
     und der militärische Arm des Mossads. Man nennt sie auch einfach nur ›die Einheit‹. Seit der

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