Das Tibetprojekt
Startvorbereitungen. Sobald er an Bord war, schloss sich die Kabinentür.
»Sie können Ihre Verkleidung jetzt ablegen. Machen Sie es sich in der Kabine bequem«, sagte der Pilot, zeigte Decker den Weg
nach hinten und ging selbst nach vorne ins Cockpit. Decker war froh, den raschelnden und nach Öl riechenden Kram wieder loszuwerden.
Dann ging er nach hinten und staunte.
|120| Die Kabine wirkte wie eine elegante Lounge im asiatischen Stil. Die Fenster waren abgedunkelt. Der große Raum war vollständig
mit edlen Hölzern verkleidet und dezent mit indirektem Licht ausgeleuchtet. Es gab Sitzecken und Arbeitsplätze an verschiedenen
Stellen. Es roch nach feinem Leder und fremden Pflanzen. Der Duft verband sich mit der kerosinhaltigen Luft zu einer exotischen
Mischung. An einigen Stellen war die Verkleidung zur Seite gefahren und dort befanden sich große Plasmabildschirme, zusätzliche
Monitore, Computer, Kommunikationseinrichtungen, eine Bar und eine Hifi-Anlage. Überall summten leise Kühlgebläse und blinkten
Dioden von Computern. Eine globale Kommandozentrale mit allem erdenklichen Luxus. Chinesische Tradition und modernste High
Tech. Er schlenderte langsam den Gang entlang und ließ die Blicke wandern, schaute sich die Details an. »Nicht übel«, murmelte
er, »aber absoluter Overkill für die Aufklärung eines Mordes.«
Weiter hinten gab es offenbar noch mehr Räume. Eine der Türen öffnete sich und eine Frau in Militäruniform kam auf ihn zu.
In dem gedämpften Licht konnte er sie nicht genau sehen. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und unter der tief ins Gesicht gezogenen
Mütze verborgen. Ihre Augen waren hinter einer Sonnenbrille nicht zu erkennen. Dennoch schien sie ihm vertraut. Der Gang.
Das freundliche Lachen, mit dem sie ihn empfing. Als sie fast bei ihm war, erkannte er sie. »Li Mai!«
Sie begrüßte ihn mit militärischem Gruß und offiziellem Ton. »Major Li Mai. Willkommen in der Volksrepublik China. Es ist
meinem Land eine große Ehre, dich als Gast empfangen zu dürfen.«
Decker war überrascht, fasste sich aber rasch wieder. »So förmlich heute?«
|121| »Das verlangt die Etikette, aber es geht auch anders ...« Sie nahm die Mütze und die Ray Ban ab, öffnete ihr Haar und legte die Arme um seine Schultern. »Ich hoffe, du verzeihst
mir das Theater gestern ... ich werde dir alles erklären.«
Decker hätte nur allzu gern an der Stelle weitergemacht, an der sie letzte Nacht unterbrochen worden waren. Aber das war jetzt
vielleicht nicht der passende Augenblick.
Er hielt sie auf Abstand und blickte ihr in die Augen: »Was ist das alles hier?«
»Der Privat-Jet eines unserer neuen Kapitalisten«, grinste Li Mai. »Er ist wirklich
sehr
reich.«
»Und der ist dein Freund?«, fragte Decker leicht eifersüchtig.
Li Mai lachte geschmeichelt. »Ach, was. Er ist reich, aber er ist auch sehr klug. Er findet, gute Beziehungen zur Partei und
zu meiner bescheidenen kleinen Organisation können nicht schaden. Er leiht uns seine Maschine recht gern.« Sie lächelte. »Für
ein paar Tage ist das jetzt dein Büro – und natürlich auch dein Zuhause.«
»Was?«
»Es ist alles an Bord, was du zum Leben und für deine Arbeit brauchst. Vom Koch bis zum Arzt ist für das leibliche Wohl gesorgt
und für die Erfüllung deines Auftrages stehen dir Internet, Telefon und Videokonferenzeinrichtungen uneingeschränkt zur Verfügung.
Du hast von hier aus Zugriff auf alle Datenbanken und Bibliotheken der Welt. Legal oder gehackt. Alles funktioniert auch in
der Luft. Wir stehen in Verbindung mit den chinesischen Botschaften rund um den Globus. Wenn du irgendjemanden sprechen möchtest
auf der Welt, einen Experten oder Wissenschaftler, sag uns seinen Namen, und so |122| schnell es geht hast du ihn in einer Liveschaltung auf dem Monitor. Und ...« Sie deutete auf eines der offenen Regale, die Decker noch gar nicht bemerkt hatte. Seine Bücher standen bereits dort.
Genau in der Reihenfolge, wie er sie sortiert hatte.
»Eine Menge Aufwand«, sagte Decker mit zweifelndem Unterton.
»Wir haben nicht viel Zeit und einiges vor. Außerdem werden wir wohl ein bisschen unterwegs sein.«
»Und das Versteckspiel vorhin?«
»Es ist besser, wenn niemand weiß, wo du bist.«
»Und was ist das für eine Uniform, die du da trägst? Für einen Kulturattaché recht ungewöhnlich«
»Ich gehöre zu einer militärischen Spezialeinheit des chinesischen
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