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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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passierte, kann ich Ihnen leider nichts Verlässliches
     sagen, denn es widersprechen sich unsere und die tibetischen Quellen. Aber auch ohne die Hintergründe endgültig klären zu |163| können, zeigen allein schon die unstrittigen historischen Fakten, welche politischen und militärischen Stürme in den alten,
     endlosen Gängen des Potalas und in den Weiten des Landes getobt haben müssen. In den nächsten 150   Jahren kam es insgesamt viermal zum großen Bürgerkrieg und dem kompletten inneren Zusammenbruch Tibets, der jedesmal nur durch
     die Intervention von chinesischen Truppen beendet wurde.«
    »China hat also für Ordnung in Tibet gesorgt?«
    »Ja. Sie haben kein Vorstellung von dem, was die Tibeter da veranstaltet haben. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. 1791 versuchte
     ein Abt der Kagyüpas einen Putsch mit Hilfe von nepalesischen Söldnern, den Gorkhas. Am Ende beging er Selbstmord.«
    »Als buddhistischer Großlama? Das wäre eine Todsünde.«
    »Er hat es aber getan. Und der mittlerweile amtierende 8.   Dalai Lama war dann für lange Zeit der letzte, der sein Amt überhaupt ausüben konnte.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Der General zerdrückte langsam und gründlich seine Zigarette im Aschenbecher und setzte ein hämisches Lachen auf. »Nummer
     9 bis 12 wurden ermordet. Es gab anscheinend viele Leute, die nicht wollten, dass ihnen der Gottkönig bei ihren Geschäften
     dazwischenfunkt. Davon steht auch nichts in den Büchern Seiner Heiligkeit.«
    »Das glaube ich nicht«, bemerkte Decker. »Wie wurde das der Bevölkerung denn erklärt?«
    »Als Unfall. Sie starben, ohne dass ein Messer gezogen werden musste. Man brachte sie noch als Kinder oder kurz nach der Inthronisation
     an einen geheimen Ort, den die Tibeter den Tempel des Schreckens nennen, und |164| überließ die armen Kerle eine Weile den Mächten der Finsternis. Das Ergebnis war ein Nervenzusammenbruch, und den Rest übernahmen
     die Magier mit ihrer Behandlung.«
    Der Tempel des Schreckens.
Decker wurde blass und fiel dem General ins Wort. »Warten Sie! Der Tempel des Schreckens. Was ist das?«
    »Das wüssten wir auch gerne! Es muss etwas sehr Mächtiges sein, wenn man damit Gottkönige umbringen kann. Vor allem aber haben
     wir den Eindruck, dass es irgendwie der versteckte Grund sein könnte, warum in Tibet der Pfad des Buddhas seit dem 7.   Jahrhundert stets auf das Schlachtfeld geführt hat. Es ist, als drehten sich alle Kämpfe, Verschwörungen, Morde und Kriege
     in letzter Instanz nur um diesen mysteriösen Tempel. Er ist womöglich der Mittelpunkt der tibetischen Geschichte.«
    »Könnte die Kampfkraft der Kampas auch damit zusammenhängen?«
    »Wir vermuten, ja. Deswegen betrachteten wir diesen Tempel als militärisches Geheimnis unserer Gegner und haben uns ausnahmsweise
     dafür interessiert, woran die eigentlich glauben. Aber sie haben es uns nicht einmal unter Folter verraten. Beachtlich. Das
     könnte allerdings auch bedeuten, dass nur diejenigen das Versteck kennen, die aus Tibet geflohen sind und die wir nicht fassen
     konnten.«
    »Der Mittelpunkt der tibetischen Geschichte?«, wiederholte Decker. »Und Sie haben ihn bis heute nicht gefunden?«
    »Nein. Er ist zu gut versteckt. Obwohl wir alle wichtigen Klöster durchsucht und viele völlig auseinandergenommen haben. Aber
     es gibt Gerüchte, dass er noch existiert. Nur weiß niemand, wo. Es ist wie verhext.«
    |165| Bei allem, was in Tibet geschieht, spielt offenbar diese rätselhafte alte Religion im Hintergrund die Hauptrolle, dachte Decker.
     Sie war die treibende Kraft. Wie sehr mussten die Tibeter den Tempel des Schreckens fürchten oder verehren, wenn er damit
     in Verbindung stand. Diesen Tempel musste er finden.
    Der General ließ sich durch Deckers Geistesabwesenheit nicht beirren. Er schenkte sich Tee nach und trank einen Schluck. »Kommen
     wir zum 13.   Dalai Lama. Das war eine Ausnahmeerscheinung. Anders als seine Vorgänger betrieb er seit seiner Inthronisation 1895 bis zu
     seinem Tod 1933 aktive Innen- und Außenpolitik. Und damit schuf er auch für China ganz neue Probleme. Aus tibetischer Sicht
     war sein größter Erfolg die Aufhebung des alten Protektorats und die Unabhängigkeitserklärung seines Landes von China.«
    »Tibet sagt sich los von China, und Sie sind nicht einmarschiert?«
    »Wir konnten nicht. Die Quing-Regierung war schwach, die Engländer, Franzosen, Japaner und auch die Deutschen hatten sich
     an unseren Küsten festgesetzt und

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