Das Todeskreuz
Cornelius und setzte sich in einen
Sessel gegenüber der Kommissarin. Ihre Bewegungen hatten
etwas Elegantes, Geschmeidiges, genau wie ihre Stimme, die
sanft und einfühlsam klang. »Es ist schrecklich, was passiert ist,
einfach schrecklich. Ich bin ganz normal wie jeden Morgen zu
ihr gefahren und dann sagt man mir, dass sie tot ist. Sie können
sich gar nicht vorstellen, was das für ein Schock war. Ich kann es
noch immer nicht fassen.«
»Das glaube ich Ihnen. Wie lange haben Sie schon für Frau
Sittler gearbeitet?«
»Seit Mai 96.«
»Also seit ziemlich genau zehn Jahren. Was für ein Mensch
war sie?«
»Sie war eine seltsame Frau, ich meine, schauen Sie sich doch
nur im Haus um.«
»Das habe ich gestern schon getan.«
»Dann wissen Sie ja, wie sie war. Sie hatte Angst. Angst vor
Menschen, Angst vor draußen, Angst vor dem Alleinsein. Sie hat
mich manchmal mitten in der Nacht angerufen, wenn es ihr wieder
schlechtging.«
»Wenn es ihr schlechtging? Können Sie mir das näher erläutern?
«
»Sie litt unter Panikattacken und war der festen Überzeugung,
dass sie verfolgt wird, auch wenn das natürlich pure Einbildung
war. Und wenn sie nicht schlafen konnte, rief sie mich an. Ein
paarmal bin ich auch zu ihr gefahren und dort geblieben. Sobald
ich da war, war die Angst weg, wie ein Vogel einfach davongeschwebt.
Nun, dafür hat Frau Sittler mich auch sehr gut bezahlt.
«
»Aber Sie waren doch bestimmt nur ein paar Stunden täglich
bei ihr.«
»Wer hat Ihnen denn das gesagt? Leslie?« Alina Cornelius
schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Ich war nicht selten den
ganzen Tag bei ihr, die Gründe kennen Sie. Ich habe das Haus in
Ordnung gehalten, während sie gearbeitet hat, und wenn sie
nichts zu tun hatte, dann haben wir uns unterhalten oder ferngesehen
oder etwas gespielt. Sie liebte Schach, konnte es jedoch
nicht ertragen, wenn sie verlor. Aber sie hat trotzdem immer gute
Miene zum bösen Spiel gemacht, außer sie war besonders
schlecht drauf.« Ein Seufzer, ein Putzen der Nase, dann: »Sie war
einsam, und sie wurde von Tag zu Tag einsamer. Sie hat mir leidgetan.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, in einem solchen
Zustand zu leben, und das tagaus, tagein.«
»Sie kommen aus Norddeutschland, wie ich von Frau Sittlers
Tochter erfahren habe.«
»Aus Lüneburg. Ich lebe seit zehn Jahren in Frankfurt. Frau
Sittler hatte eine Anzeige geschaltet, dass sie eine Hausdame
sucht.«
»Hausdame?«
»Ja, Hausdame. Ich habe natürlich auch den Haushalt geführt,
ich habe ab und zu gekocht, ich habe saubergemacht, aber Frau
Sittler wollte vor allem jemanden zur Gesellschaft haben.«
»Und ich dachte, sie wären nur die Haushälterin.«
»Ich weiß zwar nicht, wie Sie darauf kommen, aber ich war
weit mehr als das. Es war so, wie ich gesagt habe.«
Durant betrachtete Alina Cornelius für einen Moment und
sagte: »Hatten Sie das Kleid auch an, als Sie vorhin zu Frau Sittler
gefahren sind?«
Ein Lächeln zeichnete sich auf Alina Cornelius' Gesicht ab,
als sie antwortete: »Ja. Sie legte großen Wert auf das äußere Erscheinungsbild,
auch wenn wir fast immer allein waren.«
»Hat sich Leslie gestern gar nicht mit Ihnen in Verbindung
gesetzt? Sie waren doch die einzige Ansprechpartnerin, die sie
hatte.«
»Hat sie, aber ich war gestern nicht zu Hause. Ich bin erst so
gegen Mitternacht heimgekommen und hatte ausnahmsweise
mein Handy ausgeschaltet. Ich habe die Mailbox erst zu Hause
abgehört. Leslie hat aber nicht gesagt, um was es ging, ich sollte
sie nur anrufen. Ihre Stimme klang allerdings etwas aufgeregt.
Soll ich's Ihnen vorspielen?«
»Nein, nicht nötig.«
Julia Durant betrachtete Alina Cornelius unauffällig und stellte
sich die Frage, ob zwischen den beiden Frauen mehr als nur
ein Arbeitsverhältnis bestand. Die Sittler war attraktiv und die
Cornelius nicht minder. Sie hatte etwas, das Durant nicht zu beschreiben
vermochte, aber es war eine Ausstrahlung, die wahrscheinlich
jeden in den Bann zog, Männer und Frauen. Nein,
nicht nur die charismatische Ausstrahlung, sondern eine ganz besondere
Aura, die sie umgab.
»Wer außer Ihnen und Leslie hatte noch Zugang zum Haus?«
»Niemand. Es sei denn, es gibt jemanden, von dem ich nichts
weiß.«
»Haben Sie einen Schlüssel?«
Alina Cornelius zögerte einen Moment und erwiderte: »Ja, natürlich,
aber das durfte niemand außer Leslie wissen. Eigentlich
sollte nur Leslie einen haben, doch vor
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