Das Todeskreuz
nickte: »Jetzt kapier isch, du willst stressen?« Und zu seinen
Freunden immer noch lachend: »Die Chaya will stressen. Lass
isch misch aber net stressen. Willst du stressen, Chaya?«
»No, Chabo, aber du chill mal bisschen down.«
»Bin isch doch ganz cool, weiß du«, sagte er mit übertriebener
Lässigkeit und wollte Durant anfassen, doch sie drehte ihm mit
einer oft geübten und geschickten Bewegung blitzschnell den
Arm nach hinten und drückte mit der andern Hand seinen Kopf
nach unten. Er schrie auf, seine Freunde rührten sich nicht von
der Stelle.
»Wie gehst'n du ab, Alder? Komm mal wieder runter«, japste
er.
»Hab isch dir gesagt, dass du runterkommen sollst, schon vergessen?
Wird wohl nix mit 'nem Bodycheck, hättest eh nur 'ne
Knarre gefunden. Wie heißt du?«
»Mohammed. Und jetzt bleib mal ganz locker, kann isch net
mehr rischtisch atmen!«
»Du wirst schon nicht sterben, Mohammed. Wohnst du
hier?«
»Ja, verdammt! Und jetzt ganz easy, okay?!«
»Du kannst ja auf einmal fast richtiges Deutsch sprechen.
Damit du's weißt, ich bin von der Polizei, und der Mann, der
eben vor mir reingekommen ist, ist meine Kollege. Ich geb euch
einen guten Rat - verpisst euch, denn ich will euch nicht wiedersehen,
wenn ich nachher rausgehe, sonst gibt's richtig Stress.
Kapiert?«
»Ja, verdammte Scheiße!«
»Okay«, sagte Durant, ließ Mohammed los und stieß ihn von
sich weg. Er rieb sich die Schulter, warf Durant einen verächtlichen
und zugleich ängstlichen Blick zu und ging zu seinen
Freunden, wobei er sich noch immer die Schulter hielt. »Und
jetzt Abmarsch.«
Sie wartete, bis die drei Männer draußen waren. Brandt sagte
leise, als Durant bei ihm war: »War das nicht ein bisschen übertrieben?
«
»Wie hätten Sie denn an meiner Stelle reagiert?«
»Ignorieren.«
»Das können Sie als Mann leicht sagen, das funktioniert aber
nicht immer, schon gar nicht bei Frauen. Wenn die's bei mir machen,
machen die's auch bei andern Mädchen und Frauen. Die
müssen wenigstens einmal sehen, dass es auch Grenzen gibt,
denn die werden ihnen viel zu selten aufgezeigt. Ich weiß, das
klingt humorlos, aber viele von diesen Typen haben jetzt schon
keine Zukunft mehr. Und warum?«
»Ich werd's bestimmt gleich erfahren«, erwiderte Brandt
schmunzelnd, denn er ahnte, dass jetzt eine kurze Abhandlung
über die Perspektivlosigkeit der heutigen Jugend kommen
würde.
»Weil sie keine Zukunft haben wollen. Die meisten, die hier
leben, haben ihre Wurzeln in der Türkei oder Marokko oder
Eritrea oder woanders. Die Eltern sind dort geboren und aufgewachsen,
aber die Jungs und Mädchen sind hier zur Welt gekommen.
Zu Hause müssen sie den Gebetsteppich ausrollen, auf
der Straße verticken sie Heroin, Koks, Gras oder irgendwelche
chemischen Kampfstoffe wie Crystal Speed oder Crack. Zu
Hause ist Alkohol strikt verboten, draußen geben sie sich die
Kante.«
»Ich weiß«, sagte Brandt und sah Durant von der Seite an.
»Aber warum regen Sie sich so auf? Weder Sie noch ich werden
an der Situation auch nur das Geringste ändern können. Und Ihre
Aktion von eben ist in ein paar Minuten für die schon wieder
Vergangenheit. Die kommen aus diesem Ghetto nicht raus, und
wenn, dann nur mit viel Glück und Durchhaltevermögen. Woher
kennen Sie überhaupt diese ganzen Ausdrücke?«
»Weiß du, Alder, hab isch oft mit Chabos zu tun«, antwortete
sie lässig, um gleich darauf wieder ernst zu werden. »Wir haben
in Frankfurt vier ganz heiße soziale Brennpunkte mit zum Teil
extremer Gewalt, hier, in der Nordweststadt und seit einiger Zeit
auf den ersten Plätzen Sossenheim und Höchst.«
»Ja was ist, kommt das Paket noch, oder ...«, schrie Gebhardt
von oben durchs Treppenhaus, der zum Glück nichts von der Aktion
mitgekriegt hatte.
»Ja, ja«, sagte Brandt. »Ein alter Mann ist kein D-Zug.« Und
flüsternd zu Durant, als sie im vierten Stock angelangt waren:
»Bleiben Sie einen Augenblick hier stehen, von wegen Tür vor
der Nase zuschlagen.«
Gebhardt stand am Geländer, eine Zigarette in der Hand. Er
hatte einen Dreitagebart, trug eine ausgeleierte Jeans und ein rotes
verwaschenes T-Shirt, war barfuß und machte einen sehr ungepflegten
Eindruck.
»Hallo«, sagte Brandt.
»Wo ist das Paket?«, fragte er mit zu Schlitzen verengten
Augen.
»Herr Gebhardt?«
»He, was soll das? Wer sind Sie?«
»Erklär ich Ihnen gleich. Sie brauchen aber keine Angst zu
haben, ich beiß
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