Das Todeswrack
alles in Ordnung, Dr. Gamay?«, fragte er mit hallender Stimme.
Sie spuckte einen staubigen Klumpen aus. Nicht gerade damenhaft, aber egal. »Der reinste Spaziergang.«
Verflucht, sie wünschte, dieser gelbzahnige Kretin hätte ihr nicht die Armbanduhr gestohlen, bevor man sie nach hier unten brachte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Das Licht, das in die Höhle drang, fiel schräger ein und war trüber als zu Beginn ihres Aufstiegs. Die Sonne ging unter. In den Tropen brach die Nacht mit der Geschwindigkeit eines Fallbeils herein.
Schon bald würde es in der Höhle stockfinster werden. Der Versuch, die Ranken zu erwischen, war selbst bei Licht ein schwieriges Unterfangen. Im Dunkeln würde es unmöglich sein.
Dr. Chi musste ihre Bedenken gespürt haben. Erneut drang seine ermutigende Stimme von unten an ihr Ohr und teilte ihr in ruhigem Tonfall mit, dass sie sich sehr gut hielt und dass sie beinahe am Ziel war. Und auf einmal hatte sie
tatsächlich
die Stelle erreicht, an der die Decke in das gewölbte Dach überging.
Langsam drehte sie den Kopf und sah, dass sie sich auf einer Höhe mit den Enden der Kletterpflanzen befand. Sie stieg noch ein kleines Stück weiter, um sich ein wenig mehr Spielraum zu verschaffen, wenn ihr Sprung gelingen sollte. Jetzt befand sie sich unter der Wölbung.
Die Anstrengung machte sich überdeutlich in ihren müden Händen bemerkbar. Sie musste schnell handeln, oder es würde zu spät sein.
Noch ein schneller Blick. Die Ranken waren fast zwei Meter von der Wand entfernt.
Überleg dir vorher, was du tun wirst. Aber beeil dich!
Sie versuchte sich zu sammeln. Von der Wand abspringen, sich in der Luft drehen, eine Ranke packen und festhalten.
Wie sie dem Professor bereits gesagt hatte.
Der reinste Spaziergang.
Ihre Finger fühlten sich an, als würden sie ihr von den Händen abgerissen. Sie stemmte sich von der Wand ab.
Es blieb keine Zeit mehr.
Jetzt.
Sie atmete tief ein und sprang.
Sie wirbelte herum, während ihr Körper eine Parabel beschrieb. Ihre Hände streckten sich begierig der Ranke entgegen, streiften sie und packten zu. Trocken und spröde.
Gamay erkannte an der Starrheit, dass die Pflanze ihr Gewicht nicht halten würde. Knacks! Mit der anderen Hand griff sie nach der zweiten Ranke. Fühlte, wie sie ebenfalls brach.
Und stürzte.
Als sie auf dem Wasser aufschlug, hielt sie noch immer die nutzlosen Pflanzenstücke in der Hand. Es blieb ihr keine Zeit, um mit den Füßen oder dem Kopf voran sauber einzutauchen.
Mit einem grässlich lauten Klatschen landete sie auf der Seite.
Als sie wieder auftauchte, taten ihr der linke Arm und der Oberschenkel von dem Aufprall weh. Sie biss die Zähne zusammen und schwamm unbeholfen auf einer Seite zum Rand des Beckens.
Chis Hand packte sie mit überraschender Kraft am Handgelenk und half ihr aus dem Wasser. Einen Moment lang saß sie schweigend da und rieb sich den schmerzenden Schenkel.
»Sind Sie in Ordnung?«
»Mir fehlt nichts«, erwiderte sie keuchend. Der Sturz hatte ihr die Luft aus der Lunge gepresst. »Puh, und das nach all der Anstrengung.« Sie gab Chi das Amulett zurück.
»Ich schätze, die Götter haben andere Pläne mit uns.«
»Nach dem, was ich gesehen habe, hätten sie Ihnen Flügel verleihen müssen.«
»Ein Fallschirm hätte mir schon gereicht.« Sie fing an zu lachen. »Das muss ja lustig ausgesehen haben, wie ich mit diesen Dingern in der Hand durch die Luft gesegelt bin.« Sie warf die nutzlosen Rankenstücke weit von sich.
»Ich glaube, Tarzan braucht vorerst keine Konkurrenz zu fürchten, Dr. Gamay.«
»Ganz meine Meinung. Erzählen Sie mir mehr über diesen Durchgang, der unter Wasser steht.«
Der Professor nahm sie bei der Hand. »Kommen Sie«, sagte er.
Der Raum lag inzwischen in nahezu völliger Dunkelheit, und Gamay konnte dermaßen wenig erkennen, dass Chi sie auch geradewegs in den Rachen der Hölle hätte führen können. Dann blieb er stehen, und kurz darauf flackerte die Flamme aus seine m Gasfeuerzeug auf und warf groteske Schatten an die rauen Wände.
»Passen Sie auf Ihren Kopf auf«, warnte Chi und führte sie in einen Tunnel. »Die Decke wird niedriger, aber es ist nicht weit von hier.«
Nach einigen Minuten wurde der Gang schließlich breiter, sodass Gamay etwas mehr Kopffreiheit hatte, und verlief leicht abschüssig. Dann endete er vor einer leeren Wand. Unterhalb der Wand befand sich ein kleines Wasserbecken.
»Ab hier verläuft der Tunnel unter dem
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