Das Todeswrack
Köpfen.
Die Leiter war aus von Rinde umgebenen Schösslingen gefertigt worden, regelrechten Baumstämmen, die in etwa so dick wie der Oberschenkel eines Maya und ungefähr dreieinhalb Meter breit waren. Die Schösslinge waren seitlich an weitaus mächtigeren Stämmen vertäut, die durch rechtwinklig angebrachte Streben an der Felswand abgestützt wurden. In der Mitte der Leiter verlief eine Querstrebe, die als Handlauf diente.
Die Leiter stellte eine beeindruckende Ingenieurleistung dar, aber der Zahn der Zeit hatte seinen Tribut gefordert. Manche der runden Trittstufen waren aus ihren seitlichen Halterungen gerutscht und hingen schief nach unten. An einigen Stellen waren Stützstreben gebrochen, so dass die Leiter durchsackte.
Das Holz kam Gamay robust genug vor. Aber sie machte sich Sorgen wegen der Ranken, mit denen man die Sprossen und Stützen vertäut hatte. Nach ihrer betrüblichen Erfahrung neigten Ranken dazu, auszutrocknen, morsch zu werden und zu brechen.
Es war ihrem Optimismus nicht unbedingt zuträglich, dass die unterste Sprosse von der Leiter abriss, sobald Gamay sie belastete.
Chi legte den Kopf in den Nacken und schaute zum unsichtbaren Ende der Leiter empor.
»Wir müssen das hier wissenschaftlich angehen«, sagte er und musterte die Konstruktion. »Dieses ganze Ding könnte jeden Moment zusammenbrechen. Die Strebe in der Mitte verleiht ihm eventuell ein wenig Stabilität. Daran könnte man sich festhalten.
Vielleicht sollten Sie vorangehen. Falls die Leiter Ihr Gewicht aushält, dürfte ich ebenfalls keine Probleme haben.«
Gamay wusste Chis Geste zu schätzen, wenngleich sie anderer Meinung war.
»Ihre Ritterlichkeit ist womöglich unangebracht, Dr. Chi. Sie haben eine größere Chance als ich, es nach oben zu schaffen.
Falls ich zuerst gehe und die Leiter dann zusammenbricht, kommen Sie niemals hier raus.«
»Andererseits könnte die Leiter auch gleich unter mir zusammenkrachen, und dann hätten wir beide Pech gehabt.«
Sturer Maya.
»Okay. Ich verspreche, dass ich so bald wie möglich eine Diät mache.« Gamay stellte vorsichtig einen Fuß auf die zweite Sprosse und belastete sie allmählich mit ihrem ganzen Gewicht.
Die Trittstufe hielt. Sie streckte die Arme nach den nächsten Sprossen aus, um ihr Gewicht weitgehend zu verteilen, und begann den Aufstieg. Mit Absicht vermied sie es, einen Blick auf die Ranken zu werfen, denn sie befürchtete, schon allein dadurch ein Unglück zu verursachen.
Nach ungefähr sechs Sprossen hielt sie inne. »Ich spüre einen Luftzug von oben«, sagte sie erfreut. »Sobald die Leiter hinter uns liegt, haben wir es geschafft.«
Sie trat auf die nächste Sprosse. Die Ranken auf einer Seite rissen, und ein Ende des Schösslings sackte nach unten weg.
Gamay erstarrte, wagte kaum zu atmen. Darüber hinaus geschah nichts. Langsam und bedächtig wie ein Faultier in einem Baum setzte sie den Aufstieg fort. Die Ranken hielten bis zu einer Stelle, wo die Leiter durchhing und die Aufhängungen zusätzlich belastete. Eine weitere Sprosse riss ab und baumelte zur Seite weg. Eine der horizontalen Stützen löste sich vollständig und stürzte krachend auf den Boden der Höhle.
Gamay war sicher, dass die Leiter jeden Augenblick in sich zusammenfallen würde. Aber die Konstruktion hielt stand.
Nachdem das Schaukeln aufgehört hatte, kletterte Gamay weiter.
Sie konnte kaum sagen, ob sie sich inzwischen seit fünfzehn Minuten oder fünfzehn Stunden auf der Leiter befand. Aber sie kam ohne weitere Panne stetig voran, bis sie nur noch wenige Sprossen vom Ende der Leiter trennten. Meine Güte, dachte sie und schaute nach unten. Diese Leiter musste rund fünfundzwanzig Meter hoch sein. Der Lichtschein von Chis Fackel war ihr schon längst keine Hilfe mehr. Von hier oben sah er wie ein ferner Stern aus.
Gamay streckte den Arm empor und bekam zu ihrer großen Erleichterung Stein anstatt Baumrinde zu fassen. Sie wollte auf keinen Fall eine der letzten Sprossen lostreten.
Mit sogar noch größerer Sorgfalt als bisher schob sie sich über die Kante in Sicherheit.
Sie blieb kurz auf dem Rücken liegen und sprach ein kurzes Dankgebet für die Erbauer dieser Leiter. Dann rollte sie sich zur Kante und rief leise nach Chi.
Die Fackel wurde hin und her geschwenkt und erlosch. Chi befand sich auf dem Weg nach oben und benötigte dazu beide Hände. Sie rechnete nicht damit, dass er Probleme haben würde, bis sie die Geräusche hörte.
Ein Knacken. Dann ein lautes
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