Das Todeswrack
schicksalhafte Reise aus, die hier unpassend als »Hohe Fahrt« bezeichnet wurde. Kolumbus hatte seine Vermessenheit aufrichtig bedauert, und es erschien absolut glaubwürdig, dass er versuchen würde, seine Fehler wieder gutzumachen.
Gleiches galt für die Tatsache, dass er vornehmlich darauf aus war, Gold zu finden. Es gab nur ein Problem, wie Don Ortega bereits festgestellt hatte. Kolumbus begann diesen Brief drei Tage nach seinem vermeintlichen Tod. Nun ja.
Perlmutter las weiter. Obwohl das Dokument wie ein persönlicher Brief geschrieben war, konnte der Seemann Kolumbus nicht umhin, daraus ein Logbuch seiner Reise zu machen und Einzelheiten über die Windstärke, Kurswechsel und Wetterbedingungen festzuhalten. Die Fahrt über den Atlantik war eine Bilderbuchwiederholung seiner ersten Reise. Er ließ sich vom Nordostpassat treiben, der in der Nähe von Madeira einsetzt, und erlebte auf der Überfahrt einen angenehmen Tag nach dem anderen, stets eine sanfte Brise im Rücken und vom Glück begünstigt. Genau wie bei seiner ersten Fahrt war der Wind auch diesmal»sehr sanft, wie im April in Sevilla«.
Es gab jedoch einen bemerkenswerten Unterschied. Aufgrund seiner Belesenheit wusste Perlmutter, dass Kolumbus auf der ersten Reise ohne Besteck navigiert hatte.
Das hieß, er achtete sorgsam auf Kompassnadel und Geschwindigkeit und markierte seine Position jeden Tag auf der Karte. Die Geschwindigkeit des Schiffs wurde anhand einer Methode ermittelt, die als »holländisches Log« bekannt war.
Der Steuermann warf am Bug ein Stück Holz ins Wasser und zählte einen Reim ab, um die Zeit zu ermitteln, bis das Schiff daran vorbeigefahren war.
Bei seiner ersten Reise benötigte Kolumbus keine exakte Positionsbestimmung, denn im Wesentlichen wollte er nur immer weiter nach Westen segeln. Er verließ sich auf seinen Kompass und seine große Erfahrung als Seemann, nicht etwa auf ein frühes, dem Sextanten ähnliches Gerät, das Quadrant genannt wurde. Daher stellte Perlmutter mit Interesse fest, dass Kolumbus in mehreren Einträgen nicht nur die Zahl der zurückgelegten Meilen festhielt, sondern häufig auch Himmelsbeobachtungen vermerkte.
25. Mai 1506 Habe Nordstern fixiert; weiterhin südwestlicher Kurs …
30. Mai 1506 Auf Südwestkurs geblieben, wie durch den Quadranten bestätigt …
Es wirkte fast, als wollte Kolumbus so genau wie möglich sein, weil er seinen exakten Zielpunkt
kannte.
Nicht wie während seiner ersten Reise, als er aufgrund früherer Karten annahm, er würde auf die riesige Landmasse Chinas oder Indiens stoßen, so dass ein paar Breitengrade Abweichung keine entscheidende Rolle spielten.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass Kolumbus einem vorher bestimmten Kurs folgte, waren seine häufigen Verweise auf die
torleta
des Schiffs.
Ich hielt ungefähr nach Westsüdwest, steuerte mal in die eine, dann in die andere Richtung, denn die Winde waren gegenläufig. Dennoch legte ich sechsundsechzig Meilen zurück und segelte gemäß der
torleta
der Alten.
Perlmutter legte das Dokument beiseite, steuerte mit unfehlbarer Genauigkeit auf eine Regalwand voller Bücher zu und griff zielsicher nach einem Band über mittelalterliche Navigationsmethoden. Er wusste, dass
torleta
in voller Länge
torleta del marteloio
heißen sollte, der »Tisch der Schiffsglocke«. Gemeint war eine Zeichentafel, auf der jeden Tag die jeweilige Position vermerkt wurde. Die Glocke wurde beim Umdrehen des Stundenglases geläutet, und der Gebrauch der
torleta
ließ sich bis ins dreizehnte Jahrhundert zurückverfolgen. Genau genommen handelte es sich um einen analogen Computer, mit dem man trigonometrische Probleme löste. Die
torleta
hatte die Form eines Gitternetzes und wurde vom Steuermann geführt, der eine Linie vom Start- zum Endpunkt einer jeden Tagesreise zog. Dabei berücksichtigte er Wind- und Strömungsverhältnisse sowie die Abdrift und gab im Grunde eine fachmännische Schätzung ab.
Perlmutter zerbrach sich den Kopf über den Ausdruck
»torleta
der Alten«. Vielleicht war es lediglich eine freie Übersetzung und bedeutete, dass die verwendete Zeichentafel bereits alt war, was durchaus einen Sinn ergab, falls es sich noch um die Originalausstattung der
Nina
handelte.
Er las weiter. Kolumbus hatte eine ruhige Atlantiküberquerung hinter sich. Am
26.
Juni befand er sich südlich der Insel Espanola, die später Hispaniola heißen würde und auf der eines Tages das Land Haiti sowie die Dominikanische Republik beheimatet sein
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