Das Todeswrack
Ufer. Jetzt kam das Erste dieser Boote um eine Biegung herum und schob sich aus den morgendlichen Dunstschwaden, wenige Sekunden später gefolgt von dem zweiten. In jedem der Prahme befanden sich vier Männer, darunter die beiden, die Gamay im Stillen als Pancho und Elvis bezeichnete. Pancho führte den Angriff an. Er stand im Bug des vorderen Bootsund fuchtelte drohend mit einer Pistole. Aus seinen aufgeregten Schreien ging unmissverständlich hervor, dass er das Jagdwild entdeckt hatte.
Die Boote kamen näher. Gamay zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Motor zu richten. Da bemerkte sie, dass der Choke geschlossen war. Sie zog den Plastikknopf heraus und riss erneut an der Leine des Anlassers. Der Motor stotterte und sprang schließlich an, als sie ein wenig Gas gab.
Sie stießen vom Ufer ab und fuhren wieder los. Ihr Ziel war die Mitte des Wasserlaufs, weil es dort am tiefsten war, wenngleich sie dort auch die größte Angriffsfläche boten. Gamay schaute nach hinten. Das vordere Boot beschleunigte. Vielleicht hatte es einen größeren oder besseren Motor. In qualvollem Zeitlupentempo holte es Zentimeter um Zentimeter auf. Bald würden die Schützen im Bug sie abschießen können.
Aus der Mündung einer der Waffen stieg Rauch auf. Pancho hatte ein paar Schnellschüsse abgegeben, wohl eher, um Eindruck zu machen, als um wirklich einen Treffer zu erzielen.
Entweder hatte er sie nicht anvisiert, oder die Entfernung war zu groß, denn von den Kugeln war nichts zu sehen oder zu hören.
Dann fuhren sie um eine Biegung und verloren die Verfolger aus dem Blickfeld. Es war nur eine Frage der Zeit, und zwar weniger Minuten, bis sie im wahrsten Sinne des Wortes Schiffbruch erleiden würden.
Hack!
Das Geräusch kam völlig unerwartet. Gamay drehte sich ruckartig um. Auf dem Boden des Prahms hatte eine Machete gelegen. Chi hatte damit soeben einen der tief hängenden großen Äste abgehackt. Erneut blitzte der silbrige Stahl auf. Ein weiterer Ast fiel in den Fluss. Chi schwang die Machete wie ein Verrückter. Zu beiden Seiten des Boots stürzten Äste ins Wasser, verfingen sich ineinander und wurden dann als schwimmendes Knäuel von der Strömung mitgerissen. Der improvisierte Damm blieb mitten im Fluss an einer Sandbank hängen.
Der Steuermann des vorderen Boots sah das Gewirr aus Ästen erst, als es bereits zu spät war. Der Prahm kam mit voller Geschwindigkeit um die Kurve. Der Mann wollte ausweichen.
Stattdessen trieb das Boot seitwärts in die Blockade. Einer der
chicleros
lehnte sich hinaus, um das Boot abzustoßen, und musste erkennen, dass Newton Recht hatte, wenn er behauptete, jede Aktion riefe eine Reaktion hervor. Das Boot entfernte sich ein Stück von dem Hindernis, der Mann verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem Klatschen ins Wasser.
Verwirrung machte sich breit, und Schreie wurden laut. Dann wurde der Prahm von dem zweiten Boot gerammt. Aus einer der Waffen löste sich ein Schuss und schlug ziellos im Wald ein.
Ein riesiger Schwarm Vögel wurde aufgeschreckt und verdunkelte den Himmel mit einer gellend-zwitschernden und flatternden Wolke.
»Ja!«,
rief Gamay triumphierend. »Gute Idee, Professor.«
Auf dem normalerweise reglosen Gesicht des Maya breitete sich ein Lächeln aus. Er schien sich sowohl über den Erfolg seiner Anstrengungen als auch über das Lob zu freuen. »Ich wusste, dass meine Harvard-Ausbildung mir eines Tages sehr gelegen kommen würde«, sagte er bescheiden.
Gamay grinste und lenkte in die Mitte des Flusses, um die seichten Stellen an den Ufern zu meiden, aber sie war noch längst nicht zuversichtlich. Nach einem kurzen Moment der Erleichterung wurde ihr klar, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wohin sie fuhren. Oder ob sie genug Benzin hatten, um dort anzukommen. Sie überprüfte den Tank. Halb voll. Oder halb leer, wenn man es pessimistisch ausdrücken wollte. Was angesichts dieser prekären Situation vielleicht die angemessenere Sichtweise war.
Nach einer hastigen Besprechung beschlossen sie, eine Zeit lang mit Höchstgeschwindigkeit zu fahren, um so viel Entfernung wie möglich zwischen den Prahm und ihre Verfolger zu legen. Dann würden sie sich der Strömung anvertrauen müssen.
»Ich möchte ja nichts beschreien, Professor, aber wissen Sie wenigstens ungefähr, wohin der Fluss führt?«
Chi schüttelte den Kopf. »Dieser Wasserlauf ist nicht einmal auf der Karte verzeichnet. Ich schätze, dass wir nach Süden unterwegs sind. Einfach deshalb, weil,
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