Das Todeswrack
geknackt. Chi würde niemals so viel Lärm machen.
Sie setzte sich auf und sah sich um. Der Professor stand am Rand der Lichtung und hielt einen Ast voller Beeren. Hinter ihm stand der Anführer der
chicleros,
den Gamay insgeheim Panchonannte. Der Mann hatte nicht mehr allzu viel mit der Gestalt gemein, die erst kürzlich befohlen hatte, Gamay und Chi in einer Höhle einzusperren.
Sein struppiges Haar sah aus wie ein Vogelnest, und seine weiße Kleidung war verdreckt und zerrissen. Durch die Risse und Schlitze war sein dicker bleicher Bauch zusehen. Das spöttische Lächeln war einer wutverzerrten Fratze gewichen.
Die Pistole in seiner Hand war jedoch dieselbe wie zuvor an seinem Gürtel, und sie zeigte auf den Hinterkopf des Professors.
Der Mann legte den Rucksack, den er bei sich trug, zu Boden und herrschte Chi auf Spanisch an. Der Professor ging zu Gamay hinüber und stellte sich neben sie. Der Lauf der Waffe richtete sich von Chi auf Gamay, dann wieder zurück.
»Ich soll Ihnen sagen, dass er uns töten wird, um seine Männer zu rächen«, sagte Chi. »Zuerst mich, und dann will er sich auf meiner Leiche mit Ihnen vergnügen.«
»Was ist nur mit diesen Kerlen los?«, erwiderte Gamay »Nehmen Sie’s nicht persönlich, Professor, aber eine Menge Ihrer Landsleute scheinen das Gehirn zwischen den Beinen herumzutragen.«
Pancho deutete ein Lächeln an. Gamay erwiderte es kokett, als würde ihr der Vorschlag gefallen. Vielleicht konnte sie für den Professor etwas Zeit herausschinden und nahe genug an diesen Idioten herankommen, um seiner Libido ernstlichen Schaden zuzufügen. Chi kam ihr zuvor. Er wandte kaum merklich den Kopf und schaute zu der Machete hinüber, die an dem Baum lehnte. Dann beugte er sich leicht vor, als würde er sich gleich auf die Waffe stürzen. Gamay kannte Chi gut genug, um zu erkennen, dass diese Bewegung ungewöhnlich plump wirkte. Er schien zu
wollen,
dass Pancho Notiz davon nahm.
Der Trick funktionierte. Pancho folgte Chis Blick und entdeckte das lange Messer an dem Baum. Er entblößte die Zähne zu einem breiten Grinsen. Ohne den Professor aus den Augen zu lassen oder die Waffe von ihm abzuwenden, überquerte er mit einigen seitlichen Schritten die Lichtung und beugte sich nach vorn, um die Machete aufzuheben.
Ein Gewirr aus schwarzen Dreiecken huschte über den Boden.
Die schweren Schritte hatten die Schlange geweckt. Als der Mann nach der Machete griff, hatte die Otter sich bereits zum Angriff aufgerichtet. Sie versenkte ihre langen Zähne in seinen Hals und biss schnell ein zweites Mal zu, um den Rest ihres Gifts in seinen Arm zu entleeren.
Der Lauf der Waffe schwang herum. Dann schoss der Verwundete mehrere Male auf das Tier und verwandelte es in eine blutige rotgrüne Masse. Er berührte die zwei kleinen Bisswunden direkt neben seiner Halsschlagader. Dann wurde er leichenblass, riss entsetzt die Augen auf und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Er starrte Chi und Gamay fassungslos an und wankte ins Unterholz.
Chi trat vor und folgte dem
chiclero.
Um die Schlange, die im Todeskampf ziellos um sich biss, machte er einen großen Bogen. Kurz darauf hörte Gamay einen weiteren Schuss. Als Chi zurückkam, hielt er eine rauchende Pistole in der Hand.
Gamay schaute ihm angewidert entgegen. Er steckte die Waffe in den Hosenbund, ging zu Gamay und nahm ihre Hand. Seine sonst reglose Miene nahm einen sanften Ausdruck an, und seine Augenwirkten gütig und irgendwie großväterlich.
»Der
chiclero
hat sich selbst erschossen«, erklärte er geduldig.»Er wusste, dass der Tod nach dem Biss einer
barba
überaus schmerzhaft ist. Das Gift zerstört die roten Blutkörperchen und zersetzt die Gefäße. Man blutet aus Mund und Rachen, der Körper schwillt an, man übergibt sich und erleidet Krämpfe und einen Nervenschock. Sogar mit dem Halsbiss hätte es ein oder zwei Stunden dauern können. Bevor Sie zu viel Mitleid mit ihm haben, vergessen Sie nicht, dass er uns töten wollte, zuerst bei der Höhle und später dann auf dem Fluss.«
Gamay schüttelte wie betäubt den Kopf. Chi hatte Recht. Der Tod des
chiclero
war zwar bedauerlich, aber von ihm selbst verschuldet. Was für ein außergewöhnlicher Mann der Professor doch war! Es blieb ihr völlig unbegreiflich, wie es den Spaniern jemals gelingen konnte, die Maya zu unterwerfen. Gamays Überlebensinstinkt meldete sich. »Wir sollten aufbrechen«, sagte sie und schaute sich kurz um. »Vielleicht sind noch andere in der Nähe und
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