Das Todeswrack
die Augen. »Superb, genau wie ich erwartet habe«, sagte er mit verzücktem Lächeln. »Ein wahrhaft legendärer Jahrgang.«
Austin probierte den Wein. »Ich muss Ihnen zustimmen, Julien.« Er stellte das Glas ab. »Sie haben erwähnt, in dem Brief gäbe es einen Hinweis darauf, dass Kolumbus wegen des ›Todes der fünf‹ Reue empfände. Was halten Sie davon?«
Die blauen Augen funkelten aufgeregt. »Es überrascht mich, dass Sie nicht gleich danach gefragt haben. Ich habe meine Bibliothek durchforstet und bin auf einen seltsamen Bericht gestoßen, der von einem gewissen Miguel de la Vega stammt.
Vielleicht kommt dadurch etwas Licht ins Dunkel. Er behauptet, dass sieben Jahre vor Kolumbus’ Epoche machender erster Reise ein spanisches Schiff in der Nähe der Kanaren in einen Sturm geriet und an den Strand einer Karibikinsel gespült wurde.
Von den siebzehn Mann Besatzung überlebten fünf. Sie reparierten das Schiff und kehrten nach Spanien zurück.
Kolumbus erfuhr von ihrem Abenteuer und lud sie in sein Haus ein, wo er sie mit einem Festmahl bewirtete. Im Verlauf des Abends vertrauten sie ihm natürlich viele Einzelheiten ihrer mühevollen Erlebnisse an.«
»Kaum überraschend. Seeleute geben gern mal eine Geschichte zum Besten, auch ohne ein paar Gläser Wein, um ihnen die Zunge zu lockern.«
Perlmutter beugte seinen großen Leib vor. »Dies war weitaus mehr als ein harmloser Plauderabend. Es handelte sich zweifelsohne um eine gut geplante Spionageoperation. Jene einfache n Seeleute hatten keine Ahnung, dass ihr Wissen einen unermesslichen Wert besaß. Kolumbus versuchte, eine Expedition auf die Beine zu stellen und einen Geldgeber dafür zu finden. Hier vor ihm waren die Augenzeugenberichte und Navigationsdetails, die ihm den Weg zu gewaltigen Reichtümern zu ebnen vermochten. Die Männer konnten ihm genaue Angaben über Strömungen, Windrichtungen, Kompassdaten, Breitengrade und die Dauer der Reise machen.
Vielleicht hatten sie gesehen, dass die Einheimische n Goldschmuck trugen.
Bedenken Sie, was das bedeutete. Ihre Erfahrungen bewiesen nicht nur,
dass
es einen Seeweg nach China oder Indien gab, den Kolumbus ja zu entdecken beabsichtigte. Sie lieferten zugleich das nötige Wissen,
auf welche Weise
man dorthin und wieder zurück gelangen konnte! Kolumbus wollte neues Land für Spanien in Besitz nehmen.
Er war überzeugt, er würde Gold finden und mindestens den Großen Kahn treffen, um ein lukratives Handelsmonopol für Gewürze und andere wertvolle Güter zu etablieren. Er war sich durchaus bewusst, welche n Ruhm und Wohlstand Marco Polo erlangt hatte, und er wollte ihn noch bei weitem übertreffen.«
»Klingt ganz wie die Industriespionage in der heutigen Zeit«, sagte Austin. »Statt Bestechungsgelder, Abhörgeräte und Prostituierte einzusetzen, um Informationen über die Konkurrenz zu erlangen, hat Kolumbus seine Quellen mit Speisen und Getränken voll gestopft.«
»Vielleicht hat er ihnen auch noch mehr als nur Speisen und Getränke vorgesetzt.«
Austin hob eine Augenbraue.
»Alle fünf Männer sind nach dem Essen gestorben«, sagte Perlmutter.
»Vielleicht zu heftig überfressen?«
»Ich habe auch schon an einigen Festmählern teilgenommen, die mich beinahe das Leben gekostet hätten, aber de la Vega war anderer Ansicht. Er deutete an, die Männer könnten vergiftet worden sein. Allerdings konnte er das nicht freiheraus verkünden. Kolumbus verfügte über einflussreiche Verbindungen. Und bitte berücksichtigen Sie außerdem Folgendes: Es ist historisch verbürgt, dass Kolumbus auf seiner ersten Reise über eine Karte der Westindischen Inseln verfügt hat.« Er hielt kurz inne und trank einen Schluck Wein, um die Wirkung des nächsten Satzes zu steigern. »Könnte es nicht sein, dass seine Karte auf den Angaben jener unglückseligen Seeleute basierte?«
»Möglich. Aber nach dem, was in dem Brief steht, bestreitet Kolumbus eine direkte Beteiligung an dem Tod der fünf.«
»Richtig. Er beschuldigt diese so genannte Bruderschaft.
Los Hermanos
.«
»Hatte Kolumbus nicht selbst einen Bruder?«
»Ja, der hieß Bartolome. Aber Kolumbus hat in dem Brief die Mehrzahl des Worts benutzt.
Brüder
.«
»Gut, mal angenommen, Sie haben Recht. Entscheiden wir also im Zweifel
für
den Angeklagten. Chris lädt diese Jungs in sein Haus ein, um zu überprüfen, welche Informationen er ihnen abringen kann.
Los Hermanos
ergreifen von selbst die Initiative und sorgen vorsichtshalber dafür, dass die
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