Das Ultimatum - Thriller
einer windschiefen Ziegelmauer fast nicht zu sehen war. Dafür sah sie den roten Van, in einem engen, mit einem rostigen schmiedeeisernen Tor verschlossenen Carport vor dem Cottage.
Tina blieb stehen. Im Erdgeschoss brannte Licht, und sämtliche Vorhänge, auch die im ersten Stock, waren zugezogen. Das war das richtige Haus. Ohne Zweifel.
Sie hätte sofort Arley anrufen und ihr erklären sollen, dass das alles war, was sie für sie tun konnte. Doch stattdessen stellte sie ihr Handy auf Vibrationsalarm, kletterte über das Tor und schlich über den Kies, bis sie die Fahrerseite des Vans erreicht hatte. Sie spähte hinein. Die Vordersitze waren leer und verrieten nichts Ungewöhnliches, das Heck war durch einen improvisierten schwarzen Vorhang abgeteilt, sodass sie nichts erkennen konnte. Sie ging davon aus, dass der Van leer war, und näherte sich über den Rand der Zufahrt dem Cottage, wobei sie sich so nahe wie möglich an den Büschen hielt, bis sie das erste Fenster erreicht hatte. Sie legte das Ohr gegen die Scheibe und vernahm das Geräusch eines laufenden Fernsehers.
Vorsichtig ging sie um das Cottage herum zu dessen Rückseite. Dort führte eine Hintertür in einen Abstellraum. Durch das Fenster konnte Tina ein Waschbecken und eine Waschmaschine erkennen, dahinter schien ein schmaler Flur zu liegen, an dessen Ende sich ein schwach beleuchteter Raum befand. Obwohl sich nichts rührte, war definitiv jemand in dem Haus.
Tina streifte ihre Handschuhe über und probierte die Hintertür: verriegelt. Das Schloss wirkte so alt und gebrechlich wie das ganze Cottage. Für jemanden wie sie, die während ihrer Zeit bei der SOCA im Knacken von Schlössern unterwiesen worden war, stellte es keine Herausforderung dar. Zumal sie ihre Spezialdietriche mitgebracht hatte.
Dennoch hielt sie inne. Der Mann, der die Kinder in seiner Gewalt hatte, war bewaffnet und extrem gefährlich. Er würde nicht zögern, sie zu töten. Es wäre weitaus klüger, die Polizei anzurufen oder Arley selbst.
Nur dass sie die Kinder noch nicht gefunden hatte. Noch nicht.
Tina spürte, wie sich ihre Muskulatur unwillkürlich anspannte. Sie würde reingehen. Auch wenn all ihre Instinkte ihr davon abrieten. Aber sie wollte diese Kinder finden und in Sicherheit bringen. Falls ihnen etwas zustieß, weil sie nicht genug gewagt hatte … Sie hätte wahrscheinlich nicht damit leben können, es war so schon schwer genug.
Sie holte die Dietriche aus der Jackentasche und machte sich an die Arbeit. Binnen dreißig Sekunden hatte sie das Schloss geöffnet. Früher hätte sie es in zwanzig geschafft, sie war aus der Übung.
Langsam drehte sie den Knauf und schlich hinein.
74
Liam Roy Shetland, Codename Bull, war den ganzen Tag schon völlig aufgekratzt. Endlich hatte er jemanden umgebracht. Hatte einem Mann eine Pistole an den Schädel gehalten und abgedrückt.
Es war eine der aufregendsten Erfahrungen seines Lebens. Sogar besser als Sex, und ähnlich, wenn auch auf eine verdrehte Art. Er hatte beim Tod dieses Kerls ein unglaubliches Hochgefühl erlebt, vergleichbar einem gewaltigen Orgasmus. Seitdem spulte er den Film in seinem Kopf immer wieder ab, wie das Blut auf den Boden gespritzt war, das komische Geräusch, das der Kerl von sich gegeben hatte. Aber genau das hatte er gebraucht, sonst wäre ihm der Tag stinklangweilig geworden. Er konnte sich Interessanteres vorstellen, als in einem nach Schimmel stinkenden Haus abzuhängen und auf zwei Gören aufzupassen. Nicht einmal eine Playstation hatte er dabei und auch keinen Internetzugang, nur einen alten Fernseher mit ein paar Free-TV-Programmen.
Doch der Augenblick, in dem er die schreckliche Berühmtheit erlangen würde, von der er sein ganzes Leben lang geträumt hatte, war nicht mehr fern. Er spürte schon jetzt die Vorfreude. Das war seine Chance, es all den Hunden zu zeigen, die nicht an ihn geglaubt hatten. Seiner Mutter. Seinen Lehrern. Dem Paki-Arsch auf dem Arbeitsamt, der ihn immer von oben herab behandelt hatte. Allen würde er es zeigen.
Sein Boss müsste ihn nun jeden Moment anrufen und ihm sagen, dass er seine Zelte abbrechen konnte. Es blieb ohnehin nicht mehr viel Zeit. Seine Anweisungen waren einfach. Er sollte den Van so nahe wie möglich an das Stanhope heranfahren und ihn an einem öffentlichen Ort parken. Im Laderaum befand sich eine Bombe, deren Zünder auf 23:00 Uhr eingestellt war. Bis dahin musste er sich weit genug entfernt haben. Fox hatte ihm zudem noch einen Rucksack mit
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