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Das Ultimatum - Thriller

Das Ultimatum - Thriller

Titel: Das Ultimatum - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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Gleichgewicht ein wenig zurecht.
    Das Bahnhofspersonal hatte geistesgegenwärtig die Ticketbarrieren geöffnet und rief den Leuten zu, sie sollten sich vom Ort der Explosion entfernen. Einige überfordert wirkende Polizisten versuchten die Menschen dazu zu bringen, Ruhe zu bewahren und möglichst geordnet den Bahnhof zu verlassen, auch wenn ihre eigenen Gesichter von Panik verzerrt waren.
    Doch es hätte keiner Aufforderung bedurft, um einen Sturm auf die Ausgänge auszulösen. Die Menschen schrien wild durcheinander, einige sprangen über die Drehkreuze, ein Mann versuchte, das Dach eines Krawattenshops zu erklimmen. Dann meldete sich das Lautsprechersystem, irgendjemand wiederholte unablässig die Formel: »Alle Fahrgäste werden angehalten, den Bahnhof unverzüglich zu verlassen. Befolgen Sie die Anweisungen des Personals. Alle Fahrgäste werden angehalten, den Bahnhof unverzüglich zu verlassen.«
    Der junge Mann wusste, wohin man sie leiten würde. Es war allgemein bekannt, dass bei einem Feuer oder einem ähnlichen Notfall die Servicestraße neben dem Taxistand auf der Südseite des Bahnhofs als Sammelstelle eingerichtet wurde. Außerdem wusste er, dass die meisten Menschen, sobald sie einen Ort erreicht hatten, an dem sie sich in Sicherheit wähnten, zunächst dort verharren würden. Nicht zuletzt, weil sie nahe genug am Geschehen bleiben wollten, um nichts von dem Drama zu verpassen, das sich vor ihren Augen abspielte.
    Genau so, wie er es sich vorgestellt hatte.
    Als er an der Reihe war, schob er sich schnell durch das Drehkreuz und befolgte die gebellten Befehle der Polizisten, die ihn Richtung Ausgang drängten.
    Sein letzter Gang auf Erden.
    Der Anblick der Anzeigetafeln für Abfahrt und Ankunft war nicht besonders erhebend, auch das Informationscenter nicht, geschweige denn die schäbig wirkenden Läden … Tempel des westlichen Konsums, den er verachtete.
    Er würde die Erde nicht vermissen. Eine weitaus bessere Welt erwartete ihn.
    Er dachte kurz an seine Kindheit zurück. Wie er mit seinem Bruder Khalid und seinen Freunden vor ihrem Haus Fußball gespielt hatte, die freitäglichen Mahlzeiten mit der gesamten Familie, bei denen alle froh und glücklich waren. Wie seine Großmutter ihm immer Süßigkeiten zugesteckt hatte, die sie in den Falten ihres weiten Gewands verbarg. Er vermisste seine Großmutter, die seit fast zehn Jahren tot war. Er vermisste auch seinen Vater, der seit vier Jahren tot war. Und am meisten vermisste er Khalid, den geliebten, hübschen Bruder, den eine NATO-Granate ausgelöscht hatte, als er Hunderte von Kilometern von zu Hause entfernt gegen die feigen Söldner und Verräter kämpfte, die versuchten, sein Land zu teilen und zu zerstören. Er hoffte, sie alle im Paradies wiederzusehen. So Gott wollte. Bald schon.
    Sehr bald.
    Eine Menschenmenge wartete draußen auf der Servicestraße, die meisten hingen bereits an ihren Handys, um ihren Angehörigen und Freunden zu berichten, was sie soeben erlebt hatten. Dazwischen mühte sich eine kleine Gruppe Bahnhofsbediensteter in fluoreszierenden orangefarbenen Jacken, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Der junge Mann griff nach hinten an seinen Rucksack und löste vorsichtig die Detonationskordel. Er zitterte vor Aufregung und Vorfreude. Seine Handflächen waren schweißnass, und seine Ohren nahmen nichts mehr wahr als das stete Pochen seines Herzens. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben war sein ganzes Sein auf ein Ziel ausgerichtet.
    Die Menge schien sich wie natürlich vor ihm zu teilen und ihn aufzunehmen. Einer der Bediensteten forderte ihn auf weiterzugehen.
    Doch er zögerte. Verlangsamte seinen Schritt, bis er in der Mitte der Menschenmenge stehen blieb, nur wenige Zentimeter von einem Mann entfernt, der lauthals in ein Handy schrie, das er ans Ohr presste. Doch er nahm ihn kaum wahr. Er sah überhaupt nichts mehr. Es war, als betrachtete er die Welt durch eine regenüberflutete Windschutzscheibe.
    Jetzt war es so weit. Der Augenblick war gekommen.
    Er blieb stocksteif stehen, die Kordel fest umklammert.
    Jemand sah ihn. Eine etwas ältere Dame mit gebleichten blonden Haaren. Sie schrie auf, schrie ein einziges Wort heraus: »Jesus!«
    Der Mann am Handy sah sich um, schien zu kapieren, was hier geschah, und bewegte sich instinktiv mit ausgestreckten Armen auf den jungen Mann zu.
    Doch es war zu spät.
    »Für Gott und mein Volk!«, schrie der junge Mann, zog mit aller Macht an der Kordel und ergab sich freudig der

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