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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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»Das mit den Eltern, meine ich. Die packen uns einiges in den Rucksack, und wir schleppen den ganzen Krempel unser Leben lang mit uns herum. Hast du mal eine Therapie gemacht?«
    »Ich hab’s versucht, nach der Trennung von Hans, aber das war nichts für mich. Dieses ewige Gerede.«
    »Wir reden doch auch.«
    »Mit dir ist das etwas anderes.« Sie schiebt ihr halb ausgetrunkenes Glas von sich weg. »Mit dir ist alles anders«, setzt sie nach.
    Er lächelt. »Das ist gut.«
    »Das ist besser als gut. Das ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.« Sie merkt, dass sich ihre Augen plötzlich mit Tränen füllen. Und sie lässt sie laufen, die Tränen.
    »Hey, du weinst? Wir sind in der Öffentlichkeit, Martha.«
    Sie sieht ihn an, und die Konturen seines Gesichts verschwimmen etwas. »Ist doch egal«, sagt sie. »Ich bin glücklich. Jetzt in diesem Moment in dieser Bar hier bin ich der glücklichste Mensch überhaupt.«
    Der Mann, der mit der Rechnung kommen will, sieht erst Martha, dann Michele an und dreht ihnen dann den Rücken zu.
    »Versprich mir eines, Michele.«
    »Alles.«
    »Halt diesen Moment fest. Pack ihn irgendwohin, wo du immer Zugriff auf ihn hast. Erinnere dich daran, wenn es dir irgendwann nicht gutgehen sollte. Erinnere dich daran, dass du mich glücklich gemacht hast.«
    »Aber warum sollte es mir in absehbarer Zeit nicht gutgehen? Wir werden zusammenbleiben, wir werden …«
    Sie nickt und wischt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Ja, das werden wir«, unterbricht sie ihn. »Egal, was auch passiert. In diesem und jedem anderen Leben. Sieh mich nicht so komisch an. Zahl diesem Mann lieber seine Rechnung.« Sie winkt den Kellner heran. »Und frag ihn gleich, ob er uns noch eine Flasche einpackt. Für nachher im Hotel.«
    »Du trinkst doch sonst nicht so spät am Abend.«
    »Heute ist alles ein bisschen anders«, erwidert sie, und ihre Stimme klingt plötzlich fröhlich. Wie ein Vogel, den man nach langer Gefangenschaft in den Himmel wirft und der dabei feststellt, dass er noch fliegen kann.
     
    Das Kino ist halb besetzt. Die mit rotem Kunstsamt bezogenen Sitze sind durchgesessen und quietschen, wenn man sich bewegt. Es gibt keine Werbung, keine Vorschau. Der Film beginnt sofort.
    Martha und Michele halten sich die ganzen zwei Stunden an den Händen. Sie lassen keine Sekunde los. Manchmal lachen sie. Sie merken, dass sie an denselben Stellen lachen.
    Sie lachen noch im Auto, als sie gegen Mitternacht zurückfahren. Lachen über die verrückte Prostituierte Volpina, die allen Männern am Strand den Kopf verdreht. Die dicke Tabakhändlerin, die dem armen Schuljungen Titta mit ihren Riesenbrüsten die Luft und wenig später die Unschuld nimmt. Am meisten lachen sie über den gutmütigen Onkel Teo, der in einer psychiatrischen Anstalt lebt und bei einem Familienausflug auf einen Baum klettert und sich weigert, wieder herunterzukommen. Er sitzt dort oben und brüllt stundenlang einen einzigen Satz:
»Voglio una donna!«
Ich will eine Frau!
    »Klar«, prustet Michele, »der Typ ist im absoluten Notstand. Jahraus, jahrein nur unter Männern. Unter anderen Irren. Logisch, dass man da durchdreht und endlich mal wieder zum Schuss kommen will.«
    Martha kichert. »Und ausgerechnet eine kleinwüchsige Nonne holt ihn wieder runter.«
    »Tja, gleich doppelte Autorität – Frau und Kirche. Der arme Kerl. Das war’s dann wohl.«
    Martha kurbelt das Seitenfenster herunter und lässt den nächtlichen Fahrtwind ins Auto. »Ein wunderbarer Film«, ruft sie, »und eine wunderbare Nacht.«
    Michele lenkt mit der linken Hand und legt den rechten Arm um Martha. »Den da oben hab ich uns auch noch bestellt.« Er macht mit dem Kopf eine Bewegung Richtung Meer, wo ein dicker Mond mit den Wellen spielt.
    »Zwei Tage braucht er noch, schätze ich«, entgegnet Martha, »dann ist er voll und rund.«
    »Wir nehmen ihn auch so, oder?«
    »Du meinst, mit einer leichten Delle. Den Mann kann man jedenfalls schon erkennen.«
    »Der Mann im Mond, der in Asien ein Hase ist.«
    »Ein Hase?«
    »Ja, ich hab’s in Indonesien gesehen. Auf der anderen Seite der Erde steht unser Mann auf dem Kopf und macht einen auf Häschen.«
    »Eine Asana?«
    Michele grinst. »Meines Wissens gibt’s keine Yoga-Übung mit dem Namen »Hase«. Aber vielleicht will uns der Typ da oben die ultimative Stellung zeigen.«
    »Wann warst du in Indonesien?«
    »Ach, während meines Studiums. Mit Silvio.«
    »Aha.«
    »Was heißt das?«
    »Zwei

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