Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
Vom Netzwerk:
hatte.
    »Ellie«, sagte ich, »ich bin mir der Sache so sicher, weil ich weiß, dass es von hier aus zwei mögliche Wege in die Zukunft gibt. Wenn wir den einen Weg gehen, wird Mr. Peterson in vier Tagen sterben, friedlich und ohne Schmerzen. Gehen wir den anderen Weg, stirbt er in sechs Monaten oder in einem Jahr, nach vielen, vielen Wochen sinnlosem Leiden. Er wird sterben, ans Bett gefesselt, verängstigt und voller Schmerzen. Er wird nicht einmal in der Lage sein, irgendjemandem zu sagen, wie viel Angst er hat. Vermutlich wird er zu diesem Zeitpunkt nur noch seine Augen bewegen können. Mr. Peterson ist nicht verrückt, und ich bin es auch nicht. Wir haben den Weg gewählt, der uns als der freundlichere erschien. Und wenn du findest, dass diese Entscheidung falsch war, darfst du gerne eine andere Meinung vertreten. Du musst uns nicht helfen, kein bisschen. Aber bitte misch dich auch nicht ein. Bitte. Ich bitte dich um unserer Freundschaft willen.«
    Ich fand, dass ich meine Argumente gut vorgebracht hatte, und dass es schlagende Argumente waren. Trotzdem erschrak ich, als ich merkte, dass Ellie weinte. Sie hatte das Gesicht von mir abgewandt und schluchzte in ihren Ärmel. Mit dieser Reaktion hätte ich nie im Leben gerechnet, und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich versuchte, ihr beruhigend über das Haar zu streichen, aber weil sie so zitterte, wurde daraus eher ein Tätscheln, so wie man einen Hund oder ein Pferd tätschelt. Ich gab es auf und legte stattdessen meinen Arm um ihre Schultern. Sie lehnte ihren Kopf an mich, und nach ein paar Minuten hörte sie auf zu weinen. Übrig blieb nur noch ein gelegentliches Beben der Schultern.
    »Woods, ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Du bist ein verdammter Heiliger.«
    Dann drehte sie den Kopf zu mir und küsste mich. Direkt auf die Lippen. Ich war viel zu überrascht, um irgendetwas zu tun, viel zu überrascht, um den Kuss zu erwidern. Um die Wahrheit zu sagen, wusste ich gar nicht so genau, wie man einen Kuss erwidert. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben: In einigen Dingen bin ich hoffnungslos unterbelichtet. Aber das Merkwürdige daran war – das, was mich am meisten verblüffte –, dass mir Ellies Kuss überhaupt nicht peinlich war. Mir nicht und ihr auch nicht. Danach kuschelte sie sich einfach wieder an meine Schulter, als ob nichts passiert wäre. Und so blieben wir eine Zeit lang sitzen. Eine ziemlich lange Zeit. Meine Unterlippe war warm und prickelte. Meine linke Wange pochte, als ob ich von einer Wespe gestochen worden wäre. Und ich hatte es überhaupt nicht mehr eilig. Ich kam erst wieder zu mir, als Ellie meine linke Hand berührte, in der ich immer noch den Brief hielt.
    »Wie lange hast du für dieses Meisterwerk gebraucht?«, fragte sie.
    »Sechseinhalb Stunden«, gestand ich.
    »Und du willst es ihr ernsthaft auf diese Weise sagen?«
    »Anders kann ich es ihr nicht sagen.«
    »Du bringst mich in eine schwierige Lage.«
    »Ja, ich weiß«, sagte ich. »Aber das wollte ich nicht.«
    »Schon klar.«
    Ich dachte kurz nach. »Vielleicht ist es am besten, wenn du morgen einfach überrascht tust«, schlug ich vor.
    »Vielleicht ist es am besten, wenn du ihr einfach die Wahrheit sagst.«
    »Das ist die Wahrheit. Ich habe sie nicht angelogen.«
    »Benimm dich nicht wie ein Idiot«, fuhr Ellie mich an. »Du weißt, was ich meine.«
    Die Sekunden tickten vorbei. Ich starrte in das Glas einer Kristallkugel, die auf einem Regal hinten im Laden stand.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte ich. »Ich muss ins Krankenhaus, bev…«
    »Sag mir nicht, was du vorhast!«, unterbrach mich Ellie. »Ich will deine Mutter nicht mehr als unbedingt nötig anlügen.«
    Sie wand sich aus meinen Armen, wischte sich über die Augen und strich sich das Haar glatt. Ich stand auf, klebte den Brief zu und legte ihn links neben die Kasse.
    »Rufst du sie wenigstens morgen an?«, bat Ellie, als ich mich wieder der Hintertür zuwandte. »Das ist das Mindeste, was du ihr schuldest.«
    Ich sagte nichts.
    Ellie stemmte die Hände in die Hüften. »Sie wird doch wissen wollen, ob es dir gut geht.«
    »Vielleicht könnte ich stattdessen dich anrufen, ja? Dann …«
    »Ich werde nicht den Botenjungen für euch beide spielen. Ruf mich erst an, wenn du sie angerufen hast.«
    Ich biss mir auf die Lippe. Ich musste in den nächsten Tagen einen klaren Kopf behalten und mich konzentrieren, und ein Gespräch mit meiner Mutter könnte jede Anstrengung in dieser Richtung

Weitere Kostenlose Bücher