Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
zu bedenken.
Wir halten irgendwo auf der Autobahn an, damit ich mich umziehen kann. Hast du schlafen können?
»Heute Morgen, ein paar Stunden. Und Sie?«
Ich muss ja nicht Auto fahren. Mein Schlafmangel ist ohne Bedeutung. Wie steht’s mit der Abfahrtszeit der Fähre?
»Ich habe einen Fahrplan im Wagen. Ich denke, die Fähre um zwanzig nach drei könnten wir kriegen, aber die nächste geht eine Stunde später, falls wir sie verpassen.«
Sehr gut. Dann musst du nicht rasen. Wir wollen ja heil ankommen. Ich habe keine Lust, den Löffel abzugeben, bevor wir in der Schweiz sind.
»Ha, ha«, sagte ich.
Im Ernst: Wenn du eine Pause brauchst, sag Bescheid.
Ich nickte. Aber insgeheim dachte ich, dass ich bis morgen früh um Viertel vor neun so viel Entfernung wie möglich zwischen mich und meine Mutter gebracht haben sollte.
Ein paar Augenblicke zogen schweigend dahin. Dann schob mir Mr. Peterson wieder einen Zettel zu: Packen wir’s an.
Ich schaute noch einmal auf meine Armbanduhr. Mein Herz fing an zu hämmern. »Ich bin gleich wieder da«, sagte ich.
Als ich zur Anmeldung kam, gingen die Schwestern gerade auf ihre Runde. Wie erwartet, stand keiner der beiden Faltrollstühle draußen auf dem Gang; beide waren in der schmalen Nische neben der Anmeldung verstaut. Ich hatte beschlossen zu fragen, bevor ich mir einen nahm. Die Schwester an der Anmeldung hatte zwar nicht von ihren Papieren aufgeschaut, aber es war völlig unnötig, heimlich einen Rollstuhl nehmen zu wollen, wenn ich einen guten Grund hatte, darum zu bitten.
Ich ging zur Anmeldung, schaute auf ihr Namensschild und sagte: »Bitte entschuldigen Sie, Schwester Fletcher.«
Ihre Augen zuckten hoch und sofort zu meiner linken Wange. Ich schätzte sie auf etwa fünfundvierzig Jahre. Sie hatte vorstehende Wangenknochen und die barsche Ausstrahlung einer Oberlehrerin. Die dunklen Ringe unter ihren Augen zeugten von einer anstrengenden Schicht. Ich beschloss, mit Umsicht und großer Höflichkeit vorzugehen.
»Es tut mir leid, Sie zu stören«, sagte ich, »aber könnte ich wohl einen Rollstuhl ausleihen? Mein Freund, Mr. Peterson in Zimmer zwei, muss auf die Toilette, und wie Sie ja sicher wissen, kann er sich im Augenblick nicht besonders gut bewegen.«
Meine Wort klangen ein wenig gestelzt, aber wenn ich unbeholfen und bescheiden wirkte, umso besser.
Schwester Fletcher tippte mit dem Ende ihres Stiftes ein paar Mal gegen ihr kantiges Kinn. »Hat das nicht Zeit bis nach der Visite, Mr. …?«
»Woods«, sagte ich. »Nein, ich befürchte nicht, Schwester.«
Schwester Fletcher rümpfte die Nase. »Tut mir leid, Mr. Woods, aber ohne angemessenen medizinischen Beistand darf Ihr Freund sein Bett nicht verlassen. Anweisung des Arztes. Wir wollen nicht riskieren, dass er wieder stürzt.«
»Ich pflege ihn seit geraumer Zeit. Ich darf Ihnen versichern, dass er nicht stürzen wird, wenn ich ihm helfe.«
Ihre Augen zuckten wieder zu meiner Wange. »Entschuldigen Sie die Frage, Mr. Woods, aber hatten Sie eine Schlägerei?«
»Nein. Ich bin Pazifist.«
»Dann hat jemand Sie geschlagen?«
»Ja. Eine Freundin.«
Schwester Fletcher gab sich damit zufrieden. Sie stand auf und holte unter ihrem Tisch ein vasenförmiges Behältnis aus dicker Pappe hervor. »Vielleicht kann Mr. Peterson damit geholfen werden?«
Ich hüstelte verlegen. »Nein. Tut mir leid, aber es ist … das andere Geschäft.«
Schwester Fletcher verzog keine Miene. Sie tippte noch einige Male mit ihrem Stift gegen das Kinn und sagte dann: »Also gut. Nehmen Sie sich einen Rollstuhl. Aber wenn Sie Schwierigkeiten haben, Ihren Freund rein- oder rauszuheben, dann warten Sie bitte auf eine der Schwestern. Wir wollen nicht, dass irgendetwas passiert.«
Ich trödelte nicht herum, für den Fall, dass sie ihre Meinung ändern würde. Ich schnappte mir den nächstbesten Rollstuhl und sauste wieder zu Mr. Peterson.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Das hat länger gedauert als erwartet.«
Wer ist an der Anmeldung? ,wollte Mr. Peterson wissen.
»Schwester Fletcher.«
Na toll. Ausgerechnet die humorlose Fletcher. Mit der sollten wir nur reden, wenn es absolut nötig ist.
»Einverstanden«, sagte ich. »Waren die Schwestern schon da?«
Mr. Peterson schüttelte den Kopf. Er hatte das Rückenteil seines Bettes schon nach oben gefahren und gestikulierte nun hastig zum Rollstuhl. Den Warnungen von Schwester Fletcher zum Trotz, war es relativ einfach, ihn vom Bett in den Rollstuhl zu bugsieren. Er musste
Weitere Kostenlose Bücher