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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Brille mit einem Horngestell, hatte silbergraue Haare und dunkle, sehr ernst blickende Augen. Selbst wenn er über etwas Belangloses sprach, änderte sich dieser Ausdruck nicht. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und eine dunkelblaue Krawatte, und sein Handschlag war das Gegenstück zu meinem eigenen: zwei feste Auf-und-ab-Bewegungen und währenddessen steter Augenkontakt. Sein Englisch war schnell und fließend, obwohl Satzbau und Wortwahl manchmal etwas merkwürdig waren. Sein Akzent war stärker als der des Mannes an der Rezeption: Er dehnte das W und sprach es sehr deutsch aus, und in etwa drei Viertel aller Fälle klang sein S am Anfang eines Wortes wie das sanfte Summen einer Biene, sodass aus »I will« »I veal« wurde und sich »suicide« wie »zooicide« anhörte. Sie können sich die Laute bestimmt vorstellen, sodass ich sie hier nicht in Lautschrift aufschreiben muss.
    Abgesehen von Guten Morgen machte ich keinen Versuch, mit Herrn Schäfer Deutsch zu sprechen. Bei Themenbereichen, die ich geübt hatte, fühlte ich mich sicher, aber wenn ich improvisieren musste, hatte ich noch erhebliche Schwierigkeiten mit der Sprache, und etliches von dem, was wir mit Herrn Schäfer besprachen, war nicht Teil des Onlinekurses gewesen, mit dessen Hilfe ich Deutsch gelernt hatte.
    »Ich hoffe, das Hotel ist zu Ihrer Zufriedenheit«, bemerkte Herr Schäfer, nachdem wir einander die Hände geschüttelt und Platz genommen hatten.
    Mr. Peterson nickte.
    »Mr. Peterson fällt das Sprechen ziemlich schwer«, erklärte ich. »Außerdem bereitet es ihm aufgrund seines Zustandes Mühe, den Blickkontakt zu halten. Daher zieht er das Schreiben als Mittel der Kommunikation vor.«
    Herr Schäfer schenkte uns ein freundliches Lächeln. »Das spielt keine Rolle. Sie müssen auf die Weise kommunizieren, die für Sie am angenehmsten ist.«
    Vielen Dank , schrieb Mr. Peterson. Das Hotel ist sehr schön.
    Mr. Schäfer nickte nachdenklich. »Ich buche nicht oft in diesem Hotel, obwohl es zu meinen Lieblingshäusern gehört. Ich fand, es würde Ihre Anforderungen gut erfüllen. Das Art-déco-Interieur ist sehr elegant und gleichzeitig zweckmäßig.«
    Art déco, so erfuhr ich, ist der Name des seltsamen modern-antiquierten Stils, in dem unser Hotel eingerichtet ist. Herr Schäfer erzählte uns einiges darüber und sagte, das Hotel sei 1919 eröffnet worden und viele Jahre der bevorzugte Treffpunkt für Intellektuelle gewesen, wenn sie nach Zürich kamen. James Joyce hatte in den 1930ern ein paar Mal hier gewohnt, als er schon nicht mehr in Zürich lebte, sondern nur noch herkam, um Termine bei seinem Augenarzt wahrzunehmen. Zwischen 1915 und 1917 hatte er gleich um die Ecke gewohnt, einmal in der Kreuzstrasse und dann in der Seefeldstrasse. Ich sagte Herrn Schäfer, dass ich von James Joyce schon gehört habe, allerdings nur im Zusammenhang mit Quarks – Elementarteilchen –, die nach einem Wort benannt waren, das sich James Joyce aus irgendeinem Grund ausgedacht hatte. Diese Information schien Herrn Schäfer große Freude zu bereiten.
    »Aber jetzt sollten wir uns dem eigentlichen Grund unseres Zusammenseins zuwenden«, sagte er und beendete damit seinen kurzen Diskurs. »Ihr erster Arzttermin ist heute Abend um sechs Uhr und der nächste morgen Abend um sieben Uhr. Ich hoffe, die Verzögerung ist für Sie nicht unangenehm. Ich weiß, dass einige Menschen darunter leiden, aber das Gesetz verlangt, dass zwischen diesen beiden Terminen ein bestimmter Zeitraum liegt.«
    Wir haben es nicht eilig , schrieb Mr. Peterson.
    Herr Schäfer lächelte, aber seine Augen blieben ernst. »Sie verstehen, dass dieses Prozedere als Sicherheitsvorkehrung gedacht ist. Nur ein Arzt kann Ihnen das Medikament verschreiben, das Ihr Leben beenden wird, und dieser Arzt – oder in Ihrem Fall eine Ärztin – muss sich sicher sein, dass dies wirklich Ihr Wunsch ist und Sie berechtigte Gründe für Ihre Entscheidung haben.«
    Besteht die Möglichkeit, dass sie meine Gründe als unberechtigt betrachtet? ,fragte Mr. Peterson.
    »Nein, das steht nicht zu erwarten«, erwiderte Herr Schäfer. »Frau Doktor Reinhardt ist mit Ihrer Akte vertraut, und sie ist eine mitfühlende Frau. Sie will nur sichergehen, dass Sie genau wissen, was Sie tun, und dass es eine Entscheidung ist, die Sie nicht leichtherzig getroffen haben. Und ich möchte Ihnen hiermit ausdrücklich versichern, dass Sie jederzeit Ihre Meinung ändern können. Es ist nie zu spät, umzukehren und einen anderen

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