Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Dreiundzwanzigsten herum beruhigen, wenn der Mars in das Sternbild des Löwen eintritt. Danach geht es bestimmt wieder aufwärts.«
Nach dieser beruhigenden, aber nichtssagenden Versicherung drehte meine Mutter die nächste Karte um und wurde um einiges blasser.
»Die Neun der Schwerter«, verkündete sie mit nach wie vor bewundernswert ruhiger Stimme.
»Das ist nicht gut, nicht wahr?«, fragte Mrs. Coulson und schluckte.
»Es ist keine besonders wohlmeinende Karte«, gab meine Mutter zu, »aber auch nicht die schlimmste, die man sich vorstellen kann. Wir sollten uns erst die Karte anschauen, die für die Lösung steht, bevor wir ein Urteil fällen.«
Mit diesen Worten drehte meine Mutter hastig die letzte Karte um, die sich als die auf dem Kopf stehende Zehn der Schwerter entpuppte. Das war die schlimmste vorstellbare Karte. Die »unwürdige« Zehn der Schwerter ist ein weiteres Zeichen für eine unausweichliche Katastrophe. Darüber hinaus signalisiert diese Karte, anders als die Todeskarte, oft tatsächlich einen Todesfall. Als meine Mutter die Bedeutung dieses letzten, fatalen Puzzleteilchens begriffen hatte, überschlugen sich ihre Gedanken in dem Versuch, das Weltuntergangsszenario, das sich ihr darbot, in ihrer üblichen Zusammenfassung so hinzubiegen, dass ihre Kundin nicht auf der Stelle einen Herzinfarkt bekam. Der einzige Trost, den sie finden konnte, war der Umstand, dass die Karten wenig Genaues preisgaben, was für ein Tarotblatt sehr ungewöhnlich war. Es gab etliche eindeutige Zeichen für eine nahende Katastrophe, aber die Kombination der Karten ließ keinen Schluss auf die Natur dieses Unglücks zu. Und nicht nur das: Die Karte, die gewöhnlich präzise Informationen über den gegenwärtigen Zustand der Fragerin preisgab – sozusagen zur Ausgangssituation –, war die rätselhafteste überhaupt: Es war der Bube der Münzen, der einen ernsthaften und fleißigen jungen Mann repräsentierte, einen engen Freund oder einen Verwandten. Aber Mrs. Coulson war eine fünfundvierzigjährige, alleinstehende Dame ohne Familie, deren Fruchtbarkeit sich mit Riesenschritten dem Ende zuneigte. In ihrem Leben gab es keine jungen Männer, die irgendeine Bedeutung hatten, und es schien unwahrscheinlich, dass sich das – zumindest in naher Zukunft – ändern würde.
Und so konnte meine Mutter am Ende der Sitzung, nach vielen Fragen und ratlosem Kopfschütteln, Mrs. Coulson lediglich sagen, dass es in der nahen Zukunft zu einem Ungemach kommen würde. Dieses Ereignis würde völlig unerwartet eintreffen und sich komplett ihrer Kontrolle entziehen. Möglicherweise hatte ein junger Mann damit zu tun, möglicherweise war es auch das Resultat scheinbar guter Nachrichten. Mrs. Coulson war gut beraten, weder dem einen noch dem anderen zu vertrauen. Mittelfristig musste sich Mrs. Coulson auf schwierige Zeiten einstellen und möglicherweise auf eine gewisse Unsicherheit.
Insgeheim fürchtete meine Mutter das Schlimmste. Sie umarmte Mrs. Coulson ausgiebig, als sie sich von ihr verabschiedete, und hatte ein ganz schlechtes Gewissen, weil sie Geld für die Sitzung annehmen musste. Aber anders ging es nicht. Wenn sie sich weigerte, ihr übliches Honorar zu nehmen, würde das auf Mrs. Coulson sehr verdächtig wirken. Und es wäre eine sinnlose Geste. Nach der Schätzung meiner Mutter blieben Mrs. Coulson nicht einmal mehr elf Tage.
Im Nachhinein betrachtet war es – abgesehen von einem oder zwei unwichtigen Details – eine erstaunlich akkurate Voraussage. Das einzige Problem war, dass die Voraussage nicht beim richtigen Adressaten ankam. Nach meinem Unfall wollte meine Mutter mehr als einmal von mir wissen, ob ich vielleicht, unter gewissen Umständen, an den Karten herumgespielt hatte, während ich eigentlich nur die Kerzen hatte anzünden sollen, bevor sie und Mrs. Coulson das Zimmer betraten. Aber da ich an Gedächtnisverlust litt, konnte ich diese Frage natürlich nicht beantworten. Ich konnte ihr nur versichern, ich wüsste ganz genau, dass das Berühren der Karten unter allen Umständen ABSOLUT VERBOTEN war.
Was die vermeintliche Bedeutung dieser Episode betrifft, so möchte ich lieber keine Meinung dazu äußern. Ich lege lediglich die Tatsachen dar, wie sie mir geschildert wurden.
Meine Mutter deckte ein äußerst bedrohliches Tarotblatt auf – das schlimmste, das ihr je untergekommen war. Kurz danach wurde ich (im wahrsten Sinne des Wortes) aus heiterem Himmel von einem Unheil befallen. Mrs. Coulson dagegen
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