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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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nichts anderes zu tun hatte, weil er zu Hause eingeschlossen saß und sich vor der Pest versteckte. Er war an sein Gehirn gebunden. Das war ziemlich interessant. Außerdem erfand er eine neue Art von Teleskop und verbrachte eine Menge seiner freien Zeit mit dem Versuch, gewöhnliches Metall in Gold zu verwandeln. Das war auch ziemlich interessant. Und dann fand ich heraus, dass er wilde, stechende Augen hatte, abstehende silbergraue Haare und einen Erzfeind namens Robert Hooke, der möglicherweise ein Buckliger war. All das war unglaublich interessant. In der Wissenschaft, so schien es, gab es einige großartige Geschichten und Gestalten, aber darüber erfuhr man in der Schule nichts. Ich will nicht sagen, dass wir endlos viel Zeit mit Newtons Lebenslauf hätten verbringen sollen, aber fünf Minuten wären schon nett gewesen. Ein bisschen Wissen über Newton macht F = ma gleich viel lebendiger. Aber leider wurde Wissen über Newtons Leben in der Prüfung nicht abgefragt. Es war irrelevant.
    Sie haben es sich vielleicht schon gedacht: In der Asquith Academy ging es relativ steif zu. Die männlichen Lehrer mussten mit »Sir« angesprochen werden und die weiblichen mit »Miss«, und jedes Mal, wenn ein Erwachsener den Raum betrat, mussten die Schüler als Zeichen des Respekts aufstehen. Und es gab für alles eine korrekte Art, und alles musste korrekt gemacht werden. Es gab ein korrektes Aufstehen und ein korrektes Hinsetzen, ein korrektes Händeschütteln und einen korrekten Krawattenknoten und eine korrekte Aus- und Ansprache. Die korrekte Aus- und Ansprache waren besonders wichtig.
    Mr. Treadstone, der mich von der siebten bis zur elften Klasse in Englisch unterrichtete, war der stellvertretende Schulleiter und außerdem der Ordnungspolizist in Sachen englische Sprache, die niemals verunglimpft werden durfte, weder in Schrift noch in lockerer Unterhaltung. Mr. Treadstone verlangte korrekte Aussprache, bevorzugt ohne jeglichen Akzent – »kein West-County-Näseln, bitte sehr!« Er bestand ebenfalls darauf, dass man die korrekten Begriffe benutzte und nicht die umgangssprachlichen Ableitungen: »Hallo« statt »Hi«, »Ja« statt »Jo«. In meinem Fall bemerkte Mr. Treadstone recht schnell ein bestimmtes Problem, und zwar meinen Hang, ungenaue und überflüssige Ausdrücke zu verwenden. Ich sagte viel zu oft »ziemlich« und selten im korrekten Zusammenhang. Ich sagte »scheinbar«, wenn ich »anscheinend« meinte. Ich sagte »wissen Sie« als sinnloses Füllsel mitten im Satz. (Er wusste es nicht – darum sagte ich es ihm ja.) Und am schlimmsten war meine Unfähigkeit, drei Sätze hintereinander auszusprechen, ohne an irgendeiner Stelle ein »irgendwie« einzufügen. Dieses Wort hatte schlichtweg keine Daseinsberechtigung. Wenn ich ein Adverb dieser Gattung benötigte, sollte ich auf »einigermaßen« zurückgreifen oder auf »ungemein« oder »etwas« oder »größtenteils«. Alles war besser als meine ungeschickt klingende sprachliche Marotte.
    Obwohl ich das Wort nicht mehr so häufig benutze, habe ich vor fünf Jahren entschieden, dass Mr. Treadstones Urteil über »irgendwie« ungerecht war. Natürlich kann dieser Begriff in einigen Sätzen überflüssig oder einfach nur dämlich sein, aber eben nicht in allen. Ich würde zum Beispiel nicht sagen: »In der Antarktis ist es irgendwie kalt« oder »Hitler war irgendwie böse«. Aber manchmal sind die Dinge nun einmal nicht schwarz oder weiß. Und manchmal drückt »irgendwie« diese Grauzone besser aus als jedes andere Wort. Wenn ich Ihnen zum Beispiel sage, dass meine Mutter irgendwie merkwürdig war, dann trifft das genau den Punkt. Ich kann mir keine passendere Formulierung vorstellen.
    Mr. Treadstone betrachtete »irgendwie« – das Unwort schlechthin – lediglich als den ärgerlichsten Teil eines allgemeinen Problems. Ich müsse mich, so meinte er, grundsätzlich mit Adverben beschäftigen. Mr. Treadstone war der Überzeugung, dass es für alles ein passendes Wort gab. Die englische Sprache sei immerhin die reichste der Welt. Wenn man den treffenden Begriff nicht finden konnte, wenn man merkte, dass die eigene Sprache in den Abgrund aus Ungenauigkeit und Schwammigkeit abrutschte, dann bedeutete das nichts anderes, als dass man an seinem Vokabular arbeiten musste. Denn das passende Wort existierte – und wartete nur darauf, Bekanntschaft mit einem zu machen.
    In den Anfängen in Asquith arbeitete ich ständig an meinem Vokabular, und weil ich so viel las

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