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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Zigarette. Asso drehte ständig eine Zigarette. Kein einzelner Zwölfjähriger kann so viele Zigaretten rauchen, wie Asso an einem Tag drehte. So viele unbeaufsichtigte Stunden gibt es gar nicht. Möglicherweise verbrachte Asso eine Menge Zeit damit, gedrehte Zigaretten wieder auseinanderzurollen. Ich weiß es nicht. Ich war blindlings in ihr Territorium gelaufen, ohne sie zu bemerken. Ich hatte sie nicht bemerkt, weil ich völlig in das Titelbild meiner Zeitschrift vertieft gewesen war, die ich jetzt in die inakzeptable Tasche meiner Mutter stopfte. Das stellte sich als ziemlich dämlich heraus – die Geste lenkte die Aufmerksamkeit noch mehr auf die Tasche und nun auch auf die Zeitschrift.
    »Was hast’n da, Woods?«
    Ich hielt die Augen gesenkt und ging weiter. Das war das einzig Vernünftige. Ein paar Schritte noch, dann war ich an ihnen vorbei und in Sicherheit.
    »Was hast’n in der Tasche da, Woods?«, schnaubte Drescher.
    »Wenn man das eine Tasche nennen kann«, fügte Asso hinzu.
    »Wohl eher ’n Müllbeutel«, spann Drescher den Gedanken weiter. »Was is’n drin?«
    In der Tasche befand sich Folgendes: die neueste Ausgabe von Sky at Night , die ich, ehe ich sie abonnierte, jeden Monat im Dorfladen bestellen musste; eine Schachtel Katzenkekse für Lucy, die schon wieder für fünf fraß; ein paar Weintrauben, die ich an die erst drei Wochen alten Entenküken verfüttern wollte. Es gab keinen Gegenstand in dieser Tasche, der einer Erwähnung wert gewesen wäre. Besonders nicht die Trauben. Enten zu füttern war – wie Sie sich sicher denken können – das Schwulste, was man sich vorstellen konnte.
    Ich wollte an ihnen vorbeischlurfen, aber der Bulle hatte seinen muskelbepackten Arm ausgestreckt und versperrte mir den Weg.
    »Komm schon, Woods«, johlte Jamie Asso. »Nicht so schüchtern!«
    »Da sind nur Einkäufe drin«, murmelte ich.
    »Hmm«, sagte Drescher nachdenklich. »Nur Einkäufe. Hört sich verdächtig an.« Er zerdrückte die Red-Bull-Dose in der Hand und warf sie über seine Schulter auf den Friedhof. Sie prallte von einem Grabstein ab und landete schließlich auf der letzten Ruhestätte von Ernest Shuttleworth, liebender Ehemann und Vater. Dabei schreckte sie noch eine Amsel auf, die hektisch flatternd das Weite suchte.
    »Meine Güte!«, rief Drescher plötzlich laut, als ob ihn ein Geistesblitz durchzuckt hätte. »Es ist doch nicht etwa ein Porno, oder, Woods?«
    »Schwulenporno«, stellte Asso richtig.
    »Logisch, Schwulenporno«, nickte Drescher.
    »Ts, ts.« Der Bulle schüttelte den Kopf. Mehr hatte ich ihn im Leben noch nicht äußern hören.
    »Es ist ein Porno, richtig?«, bohrte Drescher nach.
    Auf diese Frage gab es keine korrekte Antwort. Sie war unbeantwortbar. Wenn ich »Ja« sagte, würden sie mich einen Perversen schimpfen und meine Tasche in den Dreck ausleeren. Wenn ich »Nein« sagte, würden sie behaupten, ich hätte keine Eier in der Hose, und dann ebenfalls meine Tasche in den Dreck ausleeren. Ich hätte dabei bleiben und gar nichts sagen sollen. Stattdessen ließ ich mich auf die blödeste Alternative ein: Ich versuchte, Idiotie mit Logik zu bekämpfen.
    »Das kann kein Pornoheft sein«, bemerkte ich, »weil sie so was im Dorfladen nicht verkaufen. Schwul oder nicht.«
    Das löste johlendes Gelächter aus.
    »Du musst es ja wissen, Woods«, höhnte Drake Mackenzie. Der Bulle hatte begonnen, den Ast auf sehr eindeutige Weise zu reiben. Ich denke jedenfalls, dass es eindeutig war. Vielleicht versuchte er aber auch bloß, ein Feuer zu machen.
    »Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte ich. Und damit trat ich ein Stück zurück, außerhalb der Reichweite des Astes. Dann ging ich schnell die Straße hinunter davon.
    Unglücklicherweise hat nicht das Opfer zu entscheiden, wann es genug ist, und jeder Versuch, diesen Beschluss an sich zu reißen, zieht umgehend Vergeltungsmaßnahmen nach sich. Ich merkte sofort, dass sie von der Mauer gesprungen waren und mir folgten, ein paar Meter hinter mir.
    »Geh doch noch nicht heim, Woods. Es ist doch noch stundenlang hell. Deiner Mami macht’s bestimmt nichts aus.«
    »Seine Mami sitzt wahrscheinlich auf ihrem Besenstiel.«
    Ich knirschte mit den Zähnen und ging schneller. Ich wusste genau, was sie damit meinten.
    »Woods, warum magst du uns denn nicht? Warum willst du nicht unser Freund sein?«
    Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass dies reiner Sarkasmus war, von dem Oscar Wilde behauptete, er sei die niedrigste Form des Humors.

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