Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
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Ich hätte der Person, die für diese Entscheidung verantwortlich war, gerne gesagt, dass ich tatsächlich sogar ziemlich viel wusste – Dinge, von denen die meisten Zwölfjährigen keine Ahnung haben. Ich wusste eine Menge über die Anatomie und Physiologie des Gehirns. Ich kannte den Unterschied zwischen Meteoriten, Meteoren und Meteoroiden. Ich kannte Worte wie Achondrit, olfaktorisch und zerebral. Aber ich vermute, das hätte keinerlei Eindruck gemacht. Meine autodidaktische Ausbildung war bestenfalls fragmentarisch, und das meiste Wissen in meinem Kopf war die falsche Art von Wissen. Ich wusste nicht einmal die Hälfte von dem, was man mit zwölf Jahren wissen sollte.
Ich wusste, dass Iridium-193 eins der beiden stabilen Iridium-Isotope war, ein sehr seltenes, sehr dichtes Metall, aber ich wusste nicht, was ein Periodensystem war.
Ich wusste, wie viele Nullen eine Quintillion hatte, aber Algebra hielt ich für einen Zierfisch, der in Gartenteichen lebt.
Ich hatte ein paar lateinische Wörter aufgeschnappt und konnte ganz gut Elbisch übersetzen, aber von Französisch hatte ich keine Ahnung.
Ich hatte mehr als ein Buch mit mehr als eintausend Seiten gelesen (und zwar mehr als einmal), aber ich hätte eine Metapher nicht erkannt, wenn sie mir ans Bein gepinkelt hätte.
Gemessen an Mittelstufenstandards war ich eine absolute Niete.
6 Willkommen im Affenhaus
Falls Sie es nicht wissen: In der Mittelstufe, besonders am Anfang, wird Vielfalt nicht geschätzt. In der Mittelstufe ist anders zu sein das schlimmste Verbrechen, das man begehen kann. Eigentlich ist anders zu sein in der Mittelstufe das einzige Verbrechen, das man begehen kann. Die meisten Dinge, die von der UN als Verbrechen betrachtet werden, sind in der Mittelstufe durchaus akzeptiert. Grausam zu sein, ist in Ordnung. Brutal zu sein, ist in Ordnung. Widerlich zu sein, ist in Ordnung. Oberflächlich zu sein, ist besonders in Ordnung. Gewaltausbrüche sind in Ordnung. An der Demütigung anderer Gefallen zu finden, ist in Ordnung. Jemandes Kopf in eine Toilettenschüssel zu drücken, ist in Ordnung (und je schwächer das Opfer und je dreckiger die Toilette, umso besser). Nichts davon wird den sozialen Status beeinträchtigen. Aber anders zu sein – das ist unverzeihlich. Anders zu sein, ist die Überholspur in die Welt der Parias. Ein Paria ist jemand, der von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Und wenn das jemand weiß, der gerade einmal zwölf Jahre ist, ist er wohl in der Welt der Parias angekommen.
Anders zu sein klingt wie eine ganz simple Angelegenheit, ist aber in Wahrheit ziemlich komplex. Erstens gibt es einige Arten von Andersartigkeit – wenige ausgewählte –, die akzeptiert werden und nicht dazu führen, dass mit Schlamm und Steinen nach einem geworfen wird. Wenn man etwa anders ist, weil die Familie ungewöhnlich reich ist (solange es die richtige Art Reichtum ist) und drei Autos hat (die richtigen Autos), dann kommt man wahrscheinlich ungeschoren davon. Zweitens gibt es verschiedene Kombinationen von Andersartigkeit, bei der die eine die andere aufwiegt. Wenn man etwa zu neunundneunzig Prozent dumm ist, aber dafür eine außergewöhnlich gute Hand-Auge- oder Fuß-Auge-Koordination besitzt – also außergewöhnlich gut ist in Sport –, dann hat man definitiv nichts zu befürchten.
Ein Verbrechen wird das Anderssein dann, wenn man bedrohlich anders ist, und diese Form des Andersseins kann in verschiedene Unterverbrechen aufgeteilt werden:
1. Arm zu sein. Das ist das schlimmste Verbrechen, das man begehen kann, aber auch das ist nicht so einfach, wie es klingt. »Arm« zu sein heißt eigentlich nur, nicht die richtigen Sachen zu besitzen – Nike-Turnschuhe, eine angemessene Menge Taschengeld, eine Playstation oder Xbox, ein Mobiltelefon, einen Flachbildfernseher und einen Computer im eigenen Schlafzimmer und so weiter. Es spielt keine Rolle, ob man diese Dinge aus anderen Gründen als aus finanziellem Unvermögen nicht besitzt. Man ist trotzdem arm.
2. Körperlich anders zu sein. Zu klein, zu schlaksig, zu pickelig, schiefe Zähnen, eine Zahnspange (um die schiefen Zähne zu begradigen), zu dünn, zu dick (ist gleich sehr fett), zu haarig, nicht haarig genug, unbeschreiblich hässlich, Tendenz zum Stottern, Kieksstimme, unzumutbarer Akzent, unzumutbarer Geruch, ungelenker Körper oder ungleichmäßige Gesichtszüge, Schielen, hervorquellende Augen, hängende Augenlider, Kurzsichtigkeit/hässliche Brille,
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