Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Aber Oscar Wilde hatte bestimmt nicht seine eigenen Fürze in Flammen gesetzt, was an meiner Schule zu den populären Formen des Humors zählte.
Ich bewahrte die Ruhe und ging weiter. Ich achtete auf den Atem, mit dem sich meine Brust hob und senkte. Etwas traf mich an der Schulter. Ich tastete mit den Fingern danach. Schlamm. (Zumindest hoffte ich, dass es bloß Schlamm war.) Ich bewahrte weiterhin die Ruhe. Ich fing an, bis zehn zu zählen und mir dabei jede einzelne Zahl in goldener Kursivschrift vorzustellen. Eins, zwei, drei, vier … Ein weiteres Geschoss segelte an meinem rechten Ohr vorbei. Wo zum Teufel waren all die Leute? Die Hundebesitzer. Die Jogger. Der Postbote. Es war ein milder, sonniger Tag. Warum waren die Straßen wie leer gefegt? Ich empfand Hilflosigkeit, wie in einem Albtraum, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Was konnte ich denn tun? (Über die Friedhofsmauer hechten, im Zickzack zwischen den Gräbern hindurchsausen, an die schwere, geschlossene Eichentür der Kirche hämmern und »ASYL!« kreischen?)
Ich bog um die Ecke und beschleunigte meine Schritte. Vor mir sah ich den Zaunübertritt, aber immer noch keine Leute. Ich versuchte zu berechnen, ob ich meinen Verfolgern durch einen Sprint entkommen konnte. Aber das war unwahrscheinlich. Obwohl sich meine körperliche Kondition verbessert hatte, kämpfte ich immer noch mit dem »Babyspeck«, der mir aus dem Jahr, das ich im Schlafanzug verbracht hatte, geblieben war. Meine Verfolger dagegen waren in der Fußballmannschaft. Andererseits waren sie Raucher. Vielleicht hatte Mr. Banks, unser Biologielehrer, die Wahrheit gesagt, als er behauptete, dass Rauchen das Lungenvolumen verringere. Mir jedenfalls erschien das logisch. Obwohl die Behauptung, es würde das Wachstum hemmen, eine glatte Lüge war.
Wieder traf mich etwas am Rücken, begleitet von einem dreifachen Jubelschrei.
In diesem Moment gingen meine Ruhe und Gelassenheit über Bord. Mein Geist sprang hektisch und völlig sinnlos im Kreis. Dann setzten meine Beine und mein Rückenmark zu einem coup d’etat an. Für eine Entscheidung der Exekutive blieb keine Zeit mehr: Ich rannte los.
Wie die meisten Entscheidungen, die sich am Neokortex vorbeimogeln, erwies sich auch diese als falsch. Es bestand die große Wahrscheinlichkeit, dass meine Quälgeister es bald leid gewesen wären – solange ich gleichmütig blieb. Das ist auch der Grund, warum sich gejagte Tiere tot stellen. Aber sobald ich anfing zu rennen, setzte der Instinkt des Raubtiers ein. Ich rannte, sie jagten mich, und wir alle vier waren in einem gemeinsamen Schicksal gefangen. Außerdem stand jetzt mehr auf dem Spiel. Wenn sie mich erwischten, waren sie nun geradezu verpflichtet, aktiv zu werden. Sie konnten mich nicht mehr einfach gehen lassen. Sie konnten nicht zurückrudern und mich mit ein paar Spötteleien vom Haken lassen. Ich würde gefangen werden, man würde mich anspucken, vermutlich nackt ausziehen und dann in das nächste Brennnesselgebüsch werfen. Die Zeit der Demütigungen war vorbei, und die Zeit der Schmerzen hatte begonnen.
Ich flitzte an der Abzweigung zum Ententeich vorbei. Die Entenküken würden sich ihr Futter selbst besorgen müssen; tot nutzte ich ihnen gar nichts. Stattdessen rannte ich schnurstracks geradeaus, und zwar mit voller Kraft. Ich hatte das Überraschungsmoment auf meiner Seite, was es mir ermöglichte, unbeschadet über den Zaunübertritt zu kommen – ein Hindernis, das für meine Verfolger eine ziemliche Herausforderung darstellte, weil sie sich absprechen und einer nach dem anderen hinübersteigen mussten. Aber mein Vorteil konnte nicht von langer Dauer sein. Wie alle Beutetiere hatte ich bei der Jagd mehr zu verlieren als die Jäger, aber die hatten, so vermutete ich, mehr Ausdauer. Außerdem wurde ich durch die Jutetasche behindert. Sie war zwar nicht schwer, aber sie war lästig. Der Karton mit den Keksen für Lucy schlug mir klappernd wie eine Soldatentrommel gegen die Beine. Mein Herz schlug ebenfalls laut, das Blut rauschte in meinen Ohren, und mein Atem ging in hektischen, rasselnden Zügen. Und noch immer war keine Menschenseele zu sehen.
Ein gefährlicher, zeitraubender Blick über die Schulter verriet mir, dass sich der Abstand weder verringert noch vergrößert hatte. Sie waren immer noch eine gute Lastwagenlänge hinter mir, aber sie zeigten keine Anzeichen der Ermüdung. Für sie war es wie eine sportliche Übung, kaum etwas anderes als ein lockeres
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