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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Fußballtraining. Es war mir absolut klar, dass irgendein Teil von mir – meine Beine, meine Lunge – aufgeben würde, lange bevor sie auch nur annähernd so weit ermüdet waren, um die Jagd zu beenden. Ich hatte keine Chance, sie durch eine Flucht über offenes Gelände abzuschütteln. Ich bog von dem Feldweg ab, stolperte über ein schlammiges Brachfeld auf eine Hecke zu, die – so hoffte ich – den Anfang der zivilisierten Welt darstellte.
    Der Boden war uneben und schwer begehbar. Meine Füße taten weh, meine Beine taten weh, meine Brust tat weh, und mein Kopf tat weh. Vor mir lag ein Entwässerungsgraben, ein schmale Rinne mit grün-braunem Wasser, das mich von meinem Ziel trennte. Ich wurde nur unmerklich langsamer. Ich rutschte die Böschung hinunter, sprang, stolperte auf der anderen Seite wieder hinauf. Mit ein paar taumelnden Schritten erreichte ich die Hecke. Ich schaute mich um. Meine Verfolger hatten den Entwässerungsgraben erreicht, und ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr rennen konnte. Die Hecke war meine einzige Chance, so wenig hoffnungsvoll sie mir nun auch erschien. Sie bestand aus alten, stacheligen Koniferen, die dicht beieinanderstanden und eine schier undurchdringliche Mauer bildeten – dicht genug, dass eine vernunftbegabte, mittelgroße Kreatur es sich zweimal überlegte, ob sie ein Eindringen wagen sollte. Aber diese mittelgroße Kreatur hatte ihren Verstand auf dem Feldweg hinter dem Friedhof verloren. Ich drückte den Jutebeutel meiner Mutter gegen meine Brust und stürzte mich zwischen zwei Koniferenstämmen in die Hecke. Die feuchte Dunkelheit verschluckte mich. Etwas zerriss. Zweige splitterten und stießen in mein Gesicht. Nadeln stachen mir in die Hand. Ich schloss die Augen, senkte den Kopf und schob mich vorwärts wie ein angreifender Bulle. Und dann war ich frei. Ich fiel förmlich in strahlenden Sonnenschein. Etwas unter meinen Füßen gab nach – eine kleine Pflanze oder ein Busch. Ich hörte Geschrei in den Koniferen, und dann regnete ein Hagel aus Stöcken, Steinen und Schlamm auf mich nieder.
    Blitzschnell nahm ich meine Umgebung in Augenschein. Ich befand mich in einem lang gezogenen, schmalen Garten. Das dazugehörige Haus wurde komplett von Bäumen und bewachsenen Rankgittern verdeckt. Links von mir stand ein Schuppen und rechts von mir ein Gewächshaus. Dahinter wurde das Grundstück durch einen hohen Zaun von der Außenwelt abgetrennt. Ich hörte es hinter mir rascheln, aber meine Beine versagten mir den Dienst. Jetzt, da ich aufgehört hatte zu rennen, konnte ich nicht wieder damit anfangen. Ich humpelte zum Schuppen. Die Tür war nicht verschlossen, der erste glückliche Zufall an diesem Tag, und auch der einzige. Hastig suchte ich das Innere mit den Augen nach etwas ab, das mir helfen konnte. Alte Pflanztöpfe, ein Stück Schlauch, ein paar Bambusstöcke, Gartenhandschuhe, eine rostige Harke. Dann, mit dem letzten Rest meines ohnehin erbärmlichen Kräftekontingents, schaffte ich es, einen schweren Kompostsack vor die geschlossene Tür zu zerren. Schließlich setzte ich mich auf den Sack, den Rücken gegen die Tür gepresst, die Beine fest in den Boden gestemmt und mein ganzer Körper so starr wie die Atome in einer Kohlenstoffnanoröhre.
    Eine Sekunde später versuchte jemand, die Tür zu öffnen. Der Druck wurde stärker. Ein paar dumpfe Schläge ließen das Holz erzittern. Aber es war klar, dass die Tür nicht nachgeben würde. Ihre Basis wurde einfach von zu viel Gewicht gestützt.
    Draußen ertönten Flüche und wütende Schreie. Dann hörte ich das Splittern von Glas und noch mehr Geschrei. Schließlich wurde alles still.
    Ich zählte bis hundert.
    Als ich nach draußen spähte, war niemand mehr zu sehen. Aber der Menge an Glasscherben nach zu urteilen, die in der Sonne glitzerten, war das halbe Gewächshaus demoliert worden. Später fand ich heraus, dass lediglich sieben Scheiben zerbrochen waren. Aber momentan war ich viel zu durcheinander, um auf Kleinigkeiten zu achten. Jetzt, wo die Jagd vorüber und ich nicht mehr mit der reinen Notwendigkeit zu überleben beschäftigt war, setzte mein Geist zu seinem vertrauten, flatternden Tanz an. Ich wusste, dass ich mich beruhigen musste. Ich musste still sitzen und mich konzentrieren und warten, bis es vorbei war.
    Ich ging wieder in den dämmrigen Schuppen, mein Zufluchtsort vor der Zerstörung draußen, und hockte mich an der hinteren Wand auf den Boden, den Kopf in die Hände gelegt.

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