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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Wüstenkriegen, und nach dem, was ich im Fernsehen gesehen hatte, wurden die Männer, die in diesen Kriegen kämpften, im Allgemeinen als Helden betrachtet. Wir besaßen mit Raketen bestückte Atom-U-Boote, die ganze Städte dem Erdboden gleichmachen konnten, und viele hochzivilisierte Leute fanden dies durchaus angemessen angesichts der vielen unzivilisierten Länder (und ihrer Einwohner), die es bekanntermaßen auf der Welt gab.
    Ich sollte vielleicht erwähnen, dass sich in mir an diesem Morgen eine Menge Hysterie aufgestaut hatte. Ich hatte den größten Teil der Nacht nicht schlafen können. Als der Tag anbrach, hatte ich drei Anfälle hinter mir – zwei partielle und einen Krampfanfall. Alle drei konnte ich vor meiner Mutter geheim halten. Ich fühlte mich körperlich und geistig völlig erschöpft. Ohne übertreiben zu wollen, konnte man den Zustand meines Geistes an diesem Morgen mit einem Topf voller Schlangen vergleichen, und die einzige Möglichkeit, den Deckel auf dem Topf zu halten, war eine unerschütterliche und zielgerichtete Wachsamkeit. All die vielfach trainierten Meditationen und Beruhigungstechniken kamen zur Anwendung. Ich durfte nicht hoffen, mir meine übliche Gelassenheit bewahren zu können, und so zielte ich stattdessen auf eine Art gleichmütige Starre ab. Schicht um Schicht legte ich eine dicke Dämmung um mich, die mich vor weiteren Verletzungen schützen sollte. Und eine Zeit lang funktionierte das auch ganz gut. Es gab nur einen oder zwei Momente, als mir zum Lachen oder Weinen zumute war. Oder beides.
    »Ihr seid Botschafter dieser Schule, meine Herren«, psalmodierte Mr. Treadstone. »Wenn ihr euch in der Öffentlichkeit bewegt, wenn ihr auf dem Schulweg seid oder wo auch immer, dann tragt ihr stets das Banner der Schule – und werdet euch entsprechend benehmen.«
    Mit ernster Miene starrte ich zu Boden und zählte bis fünfzig. In römischen Ziffern. Meine Haltung war den Umständen angemessen. Mr. Treadstone erwartete lediglich dann Augenkontakt, wenn er einen direkt ansprach, mit Namen oder mit einer ausnahmsweise nicht rhetorischen Frage; und als es an diesem Tag so weit war, befand sich mein Geist bereits ganz woanders. (Ich dachte an Kurt Vonnegut in seinem Schlachthofversteck, während Dresden über ihm in Flammen aufging.) Mr. Treadstones Verlangen nach einer Antwort schien aus dem Nichts zu kommen.
    »Nun?«, sagte er. »Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?«
    Mein Geist tastete nach Worten. Drake Mackenzie dagegen reagierte mit den blitzschnellen Reflexen eines in die Enge getriebenen Wiesels. »Sir«, sagte er. »Ich weiß, dass es falsch ist, sich zu prügeln. Und normalerweise verabscheut niemand Gewalt mehr wie ich …«
    »Mehr als ich«, verbesserte ihn Mr. Treadstone.
    »Niemand verabscheut Gewalt mehr als ich«, nickte Drake Mackenzie eifrig, »aber das war Notwehr. Sie können fragen, wen Sie wollen. Er hat mich angegriffen.« Er tastete mit der Hand nach seiner linken Wange. Beweisstück A: drei oder vier scharlachrote Striemen. Sein linkes Auge war geschwollen und blutunterlaufen. Die Wunden sahen recht beeindruckend aus, aber ich hatte den Verdacht, dass sie lediglich oberflächlich waren. Verglichen damit waren meine Blutergüsse enorm farbenprächtig, aber sie befanden sich an Stellen – an meiner Hüfte und meinem Hintern –, die ich ungern zur Schau stellen wollte. Darüber hinaus hätte ich bei Rückfrage zugeben müssen, dass ich mir technisch betrachtet die meisten meiner Blessuren selbst zugefügt hatte, nämlich während ich die Treppe hinuntergefallen und durch den halben Bus geschleudert worden war, nachdem ich die Notbremse gezogen hatte. Dem Augenschein nach war Drake Mackenzie klar im Vorteil. Für ihn sprach außerdem, dass seine künstlich auf falsch getrimmte Grammatik zumindest überzeugend und ernst gemeint klang. Meine Worte dagegen waren die hohlen Nichtigkeiten eines ewigen Verlierers.
    »Ja«, gab ich zu. »Ich habe ihn angegriffen. Aber das ist ziemlich irrelevant.« Mr. Treadstones Lippen kräuselten sich, vielleicht wegen der Wahl des Adverbs, vielleicht wegen meiner Anmaßung, ihm vorschreiben zu wollen, was relevant war und was nicht. »Es ist nicht relevant«, fuhr ich tonlos fort, »weil er angefangen hat. Er hat mich provoziert. Es war seine Schuld, nicht meine.«
    »Zu einem Konflikt gehören immer zwei«, bemerkte Mr. Treadstone.
    Das war eine dieser Bemerkungen, die auf den ersten Blick korrekt waren, sich aber nicht

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