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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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reizbar?«
    »Nicht ungewöhnlich reizbar«, sagte Mr. Peterson.
    »Er meint damit, dass er gewöhnlich ziemlich reizbar ist«, warf ich ein.
    Dr. Bradshaw lächelte nicht.
    Die Tests, die danach folgten, waren sehr gründlich. Wieder musste Mr. Peterson versuchen, dem Licht einer Taschenlampe nur mit den Augen zu folgen, und dann musste er jedes Mal, wenn er einen Lichtblitz an verschiedenen Stellen seines Blickfelds erkannte, einen Knopf drücken. Danach wurde überprüft, inwieweit er fokussieren konnte, ob sich seine Pupillen wunschgemäß erweiterten und wie es mit unwillkürlichen Augenbewegungen aussah. Schließlich wurde er zur Kernspintomografie geschickt. Später teilte uns Dr. Bradshaw mit, dass diese letzte Untersuchung nicht notwendig war für seine Diagnose – die stand zu diesem Zeitpunkt schon fest. Sie sollte lediglich Aufschluss darüber geben, wie weit die Krankheit bereits fortgeschritten war, damit man einschätzen konnte, mit welcher Neurodegeneration in den nächsten Monaten – hoffentlich Jahren – zu rechnen war.
    Weder Mr. Peterson noch ich hatten je von Progressiver Supranukleärer Blickparese gehört. Es war, so erklärte uns Dr. Bradshaw, eine seltene degenerative Krankheit, die einen speziellen Bereich des Gehirnstamms befiel und einen allmählichen Verfall bestimmter sensorischer und motorischer Funktionen zur Folge hatte.
    »Es tut mir leid, Dr. Bradshaw«, sagte ich, als er fertig war. »Ich will Ihnen ja nicht sagen, wie Sie Ihren Job zu machen haben, aber was Sie da sagen, lässt nur den Schluss zu, dass Sie sich irren. Mr. Petersons Bewegungsprobleme haben rein gar nichts mit seinem Gehirnstamm zu tun. So viel ist klar. Und was die Augen betrifft, so sagte der Optiker, dass das Problem nur gering sei. Nur eine leichte Störung in einer Richtung.«
    Dr. Bradshaw ließ ein paar Sekunden verstreichen und sagte dann: »Mir ist klar, dass dies sehr schwer sein muss, für Sie beide, aber die Diagnose ist eindeutig. Es ist zu vermuten, dass die bestehenden Mobilitätsprobleme die Symptome, die schon seit einiger Zeit auftreten, verdeckt haben. Und visuelle Symptome sind schwer zu bemerken, andererseits aber sehr spezifisch. Mit den richtigen Tests sind sie nahezu unverkennbar.«
    » Nahezu unverkennbar?«
    »Die visuellen Tests werden durch die Kernspintomografie bestätigt. Die Aufnahmen zeigen einen kleinen, aber deutlichen Schwund im Mittelhirn. Das ist ein Bereich, der die Augenbewegungen kontrolliert.«
    »Ich weiß, wofür das Mittelhirn da ist!«, fuhr ich auf. Ich wandte mich an Mr. Peterson, der seit der Verkündung der Diagnose kein Wort mehr gesagt hatte. »Ich denke, wir sollten auf jeden Fall eine zweite Meinung einholen.«
    Mr. Peterson schwieg noch einen kleinen Moment und sagte dann: »Alex, ich möchte, dass du ruhig bleibst. Ich brauche keine zweite Meinung. Ich brauche Fakten. Doktor, wird sich dieser Zustand verschlimmern? Das bedeutet doch wohl der Ausdruck ›progressiv‹ in Medizinersprache, nicht wahr?«
    »Ja. Ich fürchte, das stimmt«, sagte Dr. Bradshaw.
    »Kann es behandelt werden?«
    »Es gibt lindernde Medikamente, mit denen die Symptome abgeschwächt werden können. Auch Physiotherapie hilft oft, die anfänglichen motorischen Probleme in den Griff zu bekommen. Wir können es auch mit Levodopa versuchen.«
    »Und was ist das?«
    »Das ist eine chemische Vorstufe von Dopamin«, sagte ich. »Man behandelt damit die Parkinsonkrankheit. Die Sie übrigens auch nicht haben.«
    Mr. Peterson schaute mich an, sagte aber nichts.
    »Du hast recht«, sagte Dr. Bradshaw geduldig. »Levodopa wird tatsächlich bei Parkinson eingesetzt, aber es kann auch in einigen – allerdings nicht in allen – Fällen von PSP sinnvoll eingesetzt werden. Parkinson und PSP betreffen ähnliche Teile des Gehirns, und manche Symptome sind identisch, obwohl die Beeinträchtigung der Motorik im Frühstadium von PSP nicht ganz so offensichtlich ist.«
    »Aber nichts davon wird dauerhaft helfen, oder?«, fragte Mr. Peterson. »Es gibt keine Heilung, nicht wahr?«
    »Nein, eine Heilung gibt es nicht.«
    »Wie lange habe ich noch?«
    »Sie müssen verstehen, dass jeder Fall anders liegt. Es gibt durchaus Grund, positiv zu denken. Es ist nicht …«
    »Bitte, Doktor. Ich will wissen, wie viel Zeit mir noch bleibt und was ich an zukünftigen Symptomen zu erwarten habe. Sie brauchen die Wahrheit nicht unter Zuckerguss zu verstecken. Reden Sie Klartext mit mir.«
    Dr. Bradshaw nickte.

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