Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
»Gewöhnlich leben PSP-Patienten nach Einsetzen der Symptome noch fünf bis sieben Jahre. Aber wie ich schon sagte, besteht die Befürchtung, dass bei Ihnen einige motorische Symptome bereits seit Längerem vorhanden sind. Visuelle Symptome treten normalerweise erst in einem späteren Stadium auf. Ohne eine genauere Einschätzung, wann die ersten Symptome eingesetzt haben, ist es schwer zu sagen, wie schnell die Krankheit voranschreiten wird.«
»Wie lange nach Auftreten der ersten visuellen Symptome haben die Patienten im Durchschnitt noch zu leben?«
»Drei Jahre.«
Mr. Peterson schwieg einen Moment. »Und was wird in diesen drei Jahren mit mir geschehen? Was geschieht normalerweise? Ich will die Fakten hören.«
»Ich fürchte, Ihr Sehvermögen wird stetig abnehmen. Es wird Ihnen immer schwerer fallen, die Augen zu bewegen, und Ihre anderen motorischen Fähigkeiten werden ebenfalls zunehmend schlechter. Schließlich werden Sie nicht mehr in der Lage sein zu gehen. Ihr Sprechvermögen wird beeinträchtigt, und Sie werden vermutlich auch Schwierigkeiten mit dem Schlucken bekommen. Langfristig gesehen werden Sie Vollzeitpflege benötigen. Es tut mir leid.«
Mr. Peterson nickte. »Danke.«
»Es gibt eine ganze Menge Hilfsangebote, die Sie wahrnehmen können. Aber ich denke, es wäre besser, wenn wir darüber ein andermal ausführlich reden. Bitte vereinbaren Sie doch einen neuen Termin, am besten irgendwann nächste Woche …«
Ich hörte nicht mehr zu.
»Wir sollten mit Dr. Enderby reden«, sagte ich, nachdem wir das Sprechzimmer verlassen hatten. »Ich bin mir sicher, er wird uns einen Arzt empfehlen können, der etwas mehr …«
Mr. Peterson hob die Hand. »Hör zu, Junge. Mir ist klar, dass du im Moment ziemlich durcheinander bist, aber das hilft mir nicht im Mindesten. Bitte lass mich die Sache auf meine Art regeln.«
»Aber …«
»Ich brauche keine zweite Meinung. Was ich brauche, ist etwas Zeit und Ruhe, um nachzudenken. Und du auch.«
Ich sagte nichts.
»Also, ich weiß, das ist vielleicht viel verlangt, aber ich möchte, dass du die Sache erst mal für dich behältst. Ich will nicht, dass irgendjemand davon erfährt. Ich will mich nicht jedes Mal, wenn ich Milch im Dorfladen kaufe, durch einen Berg von Mitleid kämpfen müssen. In den nächsten Monaten brauche ich vor allem Normalität – und ein bisschen Ungestörtheit –, und das kriege ich nicht, wenn die ganze verdammte Bande Bescheid weiß. Wenn du unbedingt mit jemandem reden musst, rede mit deiner Mutter, aber sag ihr das Gleiche, was ich dir gesagt habe. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, aber du wirst meinen Wunsch respektieren, nicht wahr?«
»Natürlich werde ich Ihren Wunsch respektieren«, sagte ich. Es würde mir auch gar nicht schwerfallen. Denn schließlich gab es eigentlich nichts zu sagen.
Als ich heimkam, erzählte ich meiner Mutter die Wahrheit: Das Krankenhauspersonal habe uns nichts Sinnvolles sagen können. Alles basiere auf Vermutungen oder unzureichenden Hinweisen. Falls es ein Problem gebe, so sei es offensichtlich harmloser Natur.
Lucy war wieder schwanger. Wir mussten nicht mit ihr zum Tierarzt, um Klarheit zu bekommen; wir kannten die Signale nur zu gut, all die subtilen Veränderungen in ihrer Stimmung und in ihrem Verhalten. Ich habe keine Ahnung, der wievielte Wurf das war – vielleicht der sechste oder siebte. Ihre Lust und Fähigkeit zur Vermehrung waren unerschütterlich, und aus irgendeinem Grund schien meine Mutter mit jedem Wurf zufriedener zu sein. Sie behauptete, dass Lucy jedes Mal in Vollmondnächten empfing. Und aufgrund ihrer Schätzung, »wie weit« Lucy diesmal schon war, sah sie diese Schwangerschaft wieder einmal als Bestätigung dieser Vermutung. Ich musste mir all die albernen Einzelheiten dieser Theorie zweimal anhören – einmal zu Hause und einmal im Laden, wo meine Mutter sie Ellie unterbreitete.
Ich half im Laden, weil ich etwas brauchte, womit ich mich beschäftigen konnte, etwas, wobei ich nicht nachdenken musste, und das Geschäft meiner Mutter war dafür ideal. Außerdem wollte ich langsam damit anfangen, Geld für mein Studium in vier Jahren zu sparen. Das Leben in London war nicht billig. Und im Hinterkopf lauerte auch die Überlegung, dass ich mir vielleicht ein Teleskop kaufen konnte, wenn ich den ganzen Sommer lang arbeitete. Das war wohl der erste Schritt, wenn ich Astrophysiker werden wollte. Ich hatte ein 10x50 Fernglas, mit dem man den Mond und offene Sternenhaufen
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