Das Ungeheuer von Florenz
Maresciallo selbst Bacci ausgewählt. Ein großartiger Ermittler würde nie aus ihm werden, aber für Öffentlichkeitsarbeit war er ideal. Er sah gut aus, war höflich und praktisch zweisprachig… Wenn man es recht bedachte, hatte sich Simonetti genau diese Eigenschaften zunutze machen wollen, als er den jungen Bacci vor laufender Kamera für seinen Trick mit der gefundenen Kugel eingespannt hatte.
»Mist!«
Zwar war keine Menschenseele auf der Straße unterwegs, doch der Maresciallo mußte anhalten, denn die Ampel zeigte Rot; dabei fiel ihm ein, daß er Bacci nach der rot angestrichenen Stelle hatte fragen wollen, die er am Abend zuvor in dem Buch gefunden hatte. Es war sicher nicht angebracht, Bacci zu bitten, den dazugehörigen Text für ihn zu übersetzen, nun, wo er von dem Fall abgezogen war, aber es interessierte den Maresciallo doch sehr, was dieses »Sind wir das?« zu bedeuten hatte. Nun war es dafür zu spät. Besser, er konzentrierte sich auf sein jetziges Vorhaben.
Im Dorf Pontino schliefen die meisten Menschen zu dieser Stunde noch, aber ein wenig Betriebsamkeit hatte doch eingesetzt. Die Bar Italia war geöffnet und beleuchtet, und der aufmunternde Duft frischen Kaffees war zu riechen. Ein paar Arbeiter frühstückten dort, und an der Bushaltestelle kamen die ersten Überlandbusse des Tages mit quietschenden Bremsen und melodischem Hupen zum Stehen und riefen Lehrer und städtische Beamte zu der einstündigen kurvenreichen Fahrt in die Stadt. Überall sonst auf dem Platz waren die Jalousien noch heruntergezogen, ausgenommen bei der Bäckerei und dem Blumengeschäft.
Für einen Kaffee in der Bar und gar für eine hübsche, ofenwarme Brioche mit einer schmelzenden Marmeladenfüllung hätte der Maresciallo alles gegeben, doch er wollte im Ort nicht gesehen werden. Womöglich war der Verdächtige schon auf den Beinen und unterwegs. Daher umfuhr er den dunklen Platz und parkte außerhalb des Lichtscheins einer Straßenlaterne in der Nähe der Kirche auf der anderen Seite. Er sah drei alte Frauen aus der Kirchentür kommen und ihrer verschiedenen Wege gehen, und als er das Auto abschloß, sah er einen kleinen Jungen, der mit einer in eine Papierserviette eingeschlagenen Brioche aus der Tür des Pfarrhauses gelaufen kam. Sein Zeitgefühl hatte ihn also nicht getrogen.
Eine kleine, nervöse alte Frau öffnete ihm die Tür.
»Pater Damiani frühstückt gerade. Ich störe den Pater nie beim Frühstück. Wenn Sie in einer halben Stunde wiederkommen könnten.«
»Vielleicht könnten Sie ihn ja doch fragen. Ich bin extra aus Florenz hergekommen, und die Angelegenheit ist ziemlich dringend.«
»Na schön…«
Die füllige Gestalt des Maresciallo und seine Autorität hatten die Frau soweit eingeschüchtert, daß sie forttrippelte, einen Augenblick später zurückkam und ihn in ein kleines, mit Möbeln vollgestelltes Speisezimmer führte. Der Priester saß am Tisch, eine große weiße Serviette war unter seinem steifen, weißen Kragen befestigt. Zwei Kannen mit Kaffee und heißer Milch standen neben seiner großen Henkeltasse, und aus einem Brotkörbchen lugten zwei warme, süß riechende Brioches aus einem frischen weißen Tuch hervor. Der Priester biß gerade in eine weitere, und weiche Krümel regneten vor seiner Brust herab, als er den Maresciallo eintreten sah und mit einem Kopfnicken auf einen Stuhl wies.
»Ich nehme an, es hat wenig Zweck, Ihnen ein Frühstück anzubieten, wenn Sie so früh aufgestanden sind, um zu dieser Stunde aus Florenz hierherzukommen.«
Sein Blick glitt zu den im Korb liegenden Brioches hinüber und wieder zurück.
Der Duft von frischem Kaffee, Vanille und warmer Marmelade wehte dem Maresciallo entgegen. Er gab die erforderlichen ablehnenden Geräusche von sich, nur leise allerdings.
»Maresciallo der Polizei oder der Carabinieri?«
»Der Carabinieri.«
»Ich verstehe nicht ganz. Man hat mir versichert, ich würde nicht aussagen müssen. Es geht mir dabei nicht nur um das Beichtgeheimnis, wissen Sie, sondern darum, daß es mich hier im Dorf in Verlegenheit bringen würde.«
»Oh, wenn man Ihnen das gesagt hat, dann ist das sicher auch richtig.«
Wie sollte er eine Sache herausbekommen, von der dieser Mann annahm, er wisse bereits darüber Bescheid? Er sah jemandem ähnlich, und der Maresciallo kam nicht darauf, wem. Jemandem, der ganz unangenehm war, doch mehr wußte er nicht.
»Für mich ist das alles sehr schwierig gewesen. Derlei Dinge sind nicht so selten, wie wir
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