Das Ungeheuer von Florenz
der Wimper gezuckt hat, als unsere Leute ihn fanden, und weshalb er gesagt hat: ›Blutflecken, ja, schön, aber Pulverspuren können keine dran sein.‹ Wissen Sie noch, wie verblüfft Romola darüber war? Die Waffe war Jahre zuvor gestohlen worden, und die Tasche war vermutlich nicht der Ort, wo er sie aufbewahrte, als er sie noch hatte. Der Mörder muß sie nach der Tat von 1974 dort versteckt und später mitgenommen haben. 1985 konnte Silvano offenbar nichts mit der Tasche anfangen. Weiter als bis zu diesem Punkt werden wir damit nicht kommen.«
»Kommen wir denn mit irgend etwas weiter als bis zu diesem Punkt? Haben Sie sich schon mal überlegt, was in Gottes Namen wir als nächstes tun sollen?«
Die Aufgabe, die sie soeben beendet hatten, war der leichtere Teil. Was der nächste Schritt sein mußte, war schon schwieriger zu entscheiden.
»Am besten fahren wir, wenn wir auf Maestrangelo setzen«, sagte Ferrini.
Wie konnte ihm der Maresciallo nach diesen Worten erzählen, was er mit angehört hatte? Das war unmöglich. Und deshalb log er.
»Sie haben vielleicht recht. Es trifft sich, daß ich noch diese Woche zu ihm rübergehen soll. Ich erledige das gleich morgen und lasse bei der Gelegenheit eine Bemerkung fallen, um zu sehen, wie er reagiert.«
Der Maresciallo hatte nicht die leiseste Absicht, irgendwelche Bemerkungen fallenzulassen, doch er spielte auf Zeit. Er wollte sich etwas anderes ausdenken.
Ferrini gähnte und schaute auf seine Uhr. »Zwanzig vor drei… In was für Sachen Sie mich verwickeln. Meine Frau wird sich von mir scheiden lassen.«
Als er gegangen war, legte der Maresciallo die auf dem Schreibtisch verstreuten Papiere zusammen und schloß sie in der Schublade ein. Danach saß er eine Weile reglos da, starrte auf den Stadtplan und wunderte sich über die Seltsamkeit der Welt.
Wie sie die Dokumente noch mal durchgegangen waren: gründlich, langsam und sehr genau. Von seinem Grundsatz »Wenn man eines überprüft, überprüft man alles« wich der Maresciallo niemals ab. Irgendwie aber hatte er diese winzigen Kleinigkeiten alle schon beim ersten Mal wahrgenommen, denn, so dunkel und gewunden der Weg auch war, er hatte gewußt, wohin er führte.
»Guarnaccia! Kommen Sie, kommen Sie, setzen Sie sich.« Der Maresciallo, die Dienstmütze in der Hand, setzte sich.
Es entsprach nicht seiner Art, sich seine Empfindungen vom Gesicht ablesen zu lassen, doch der Capitano sah ihn nur einmal genau an und fragte: »Geht es Ihnen gut?«
»Oh, ja, danke der Nachfrage. Vielleicht nur ein bißchen müde.«
»Man hat mir gesagt, daß Sie mich neulich aufsuchen wollten.«
»Ja, aber Sie hatten mit jemandem zu tun, und ich mußte wieder gehen… Simonetti und so weiter… Es tut mir leid. Sie wollten sicher noch ein paar Informationen zu diesem Brief über das Gemälde?«
»Nein.«
Der Capitano schien eher verlegen als verärgert zu sein.
»Darum ging es mir nicht. Ich habe mich nur gefragt… wie ich hörte, haben Sie gestern ein Beweismittel gefunden…?«
»Wie es aussieht, ja.«
Die Augen des Capitano wurden aufmerksamer als sonst.
»Vermutlich wieder einen anonymen Brief.«
»Ja, noch einen.«
Es war nicht der Maresciallo, sondern der Capitano, der offenbar wissen wollte, woher der Wind wehte, aber worauf war er aus? Herausbekommen, wo der Maresciallo stand, was er glaubte? Käme der erwartete Verweis etwa von ihm und nicht von Di Maira?
»Ferrini und ich waren am Tatort in Galluzzo«, sagte der Maresciallo unter dem immer noch gespannten Blick des Capitano.
Fürchtete er, er werde auspacken? Wie war es möglich, daß der Mann, dem der Maresciallo so viele Jahre lang vertraut hatte, plötzlich so… unehrenhaft war? Denn das war das richtige Wort dafür. Und hatte er nicht selbst tags zuvor gesagt, in einem solchen Maß änderten sich Menschen nicht, nicht in diesem Alter?
»Ich hätte Sie da gar nicht hineinziehen dürfen.«
Der Capitano stand unvermittelt auf und ging zum Fenster hinüber. Dem Maresciallo den Rücken zukehrend, sagte er noch einmal: »Ich und Ferrini, wir… Hat er Ihnen nichts gesagt?«
Ferrini hatte vieles gesagt, noch an diesem Morgen, als plötzlich mitgeteilt wurde, daß sowohl die Seifenschale, deren Inhalt sich als wertlos erwiesen hatte, als auch der Kalender, dessen Eintragungen nichts erbracht hatten, in Wirklichkeit besonders wichtige Spuren seien. Einem soeben eingegangenen anonymen Hinweis zufolge waren diese beiden Gegenstände aus dem Campingbus der
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