Das Ungeheuer von Florenz
schließen läßt, daß sich der Zorn des Täters in gleicher Weise gegen Männer richtet, die Beschränkung der Stichverletzungen auf Rumpf- und Halsbereich des männlichen Opfers ist jedoch ein Indiz für die Angst des Täters vor einer Berührung männlicher Geschlechtsteile (siehe Anmerkung 2).
Die von 1981 an verübten Morde lassen eine fortschreitende Habitualisierung der Tatausführung erkennen. Das Problem der Impotenz am Tatort wird dadurch gelöst, daß Körperteile der Opfer entfernt werden, um diese nach der Tat in Sicherheit und ohne Zeitdruck zu »genießen«. Für die Ruhe zwischen 1974 und 1981 kann Angst ursächlich sein, vor allem wenn der Täter sehr jung ist oder wegen irgend etwas von der Polizei gesucht wurde. In Betracht kommt jedoch auch, daß der Täter abwesend oder wegen anderer Delikte inhaftiert war oder die Gegend aus Angst vor einer Festnahme vorübergehend verlassen hatte.
Daß der Täter nach dem letzten Verbrechen ein Stück Fleisch aus dem Körper seines Opfers an eine Ermittlungsbeamtin sandte, könnte darauf zurückzuführen sein, daß es sich bei den Opfern um Ausländer im Urlaub handelte, die sich an einem abgelegenen Ort in ihrem Campingfahrzeug aufhielten und nicht vermißt wurden. Möglich wäre auch, daß der Täter die Leichen seiner Opfer versteckte, um Zeit zu gewinnen und auf aufsehenerregende Weise von seiner Tat Mitteilung zu machen. Angesichts des Zustands der weiblichen Leiche sollte auf jeden Fall die Todeszeit noch einmal überprüft werden. Dem Anschein nach wurden die deutschen Opfer des Mordes von 1983 exakt zur gleichen Jahreszeit an der gleichen Stelle ermordet und in dem Campingfahrzeug deponiert, ohne daß die Leichname ähnliche Verwesungsmerkmale aufwiesen.
Das Fehlen von Spuren am Tatort weist darauf hin, daß der Täter mit Sorgfalt und Bedacht vorging und seine Verhaftung nicht herbeiführen wollte. In zwei Fällen, 1982 und 1983, als der Plan fehlschlug, verließ der Täter den Tatort, ohne die Leichen zu verstümmeln. Die Situation vollkommen im Griff zu haben war für ihn von entscheidender Bedeutung – seine Opfer müssen wehrlos sein und sterben, ohne dem Angriff ausweichen zu können. Daher floh der Täter vom Tatort, als es zu einer Gegenwehr (1982) von Seiten eines Opfers kam, ohne zu überprüfen, ob der Mann tot war. Wäre dieser Mann früher gefunden worden, hätte er seinen Angreifer sogar identifizieren können. Der Täter hatte inzwischen die in die Pistole geladenen Projektile verschossen, hätte seinem Opfer aber mit dem Messer den Todesstoß versetzen können. Der Kontrollverlust und die plötzlich provozierte menschliche Beziehung zum Opfer, vermutlich durch Blick- und Stimmkontakt, lösten jedoch beim Täter eine Panikreaktion aus, denn sie zerstörten seine Allmachtsphantasie.
Der Fluchtversuch seines letzten Opfers scheint eine solche Wirkung nicht ausgelöst zu haben. Vermutlich war bei dieser Tat kein Blick- und Stimmkontakt entstanden, und ein nackt und verwundet fliehendes Opfer zerstörte die Phantasie des Täters nicht, sondern ließ sich darin integrieren.
Obwohl auf das letzte Verbrechen eine Begegnung mit den Ermittlungsbeamten folgte (anderslautende erhaltene Mitteilungen erwiesen sich nicht als echt), weist die Zusendung des Päckchens an einen namentlich benannten Ermittlungsbeamten – an die einzige Frau, die an der Aufklärung des Falles mitarbeitete – darauf hin, daß der Täter sich für die kriminalistische Untersuchung interessierte und mit hoher Wahrscheinlichkeit persönlich Kontakt zur Polizei aufnahm und/oder gelegentlich zum Tatort zurückkehrte, um das polizeiliche Vorgehen zu beobachten. Ein solches Verhalten ist bei Serienmördern dieses Typs so häufig, daß eine strategische Plazierung von visuellen Aufzeichnungsgeräten am Tatort während der Ermittlungsarbeiten angezeigt ist.
Diagnose Organisierter Lustmord eines Einzeltäters
Herkunft des Täters Ökonomisch und kulturell depraviert, wahrscheinlich aus einer ländlichen Region; die Exzision der Körperteile läßt darauf schließen, daß das Fleisch vor dem Heraustrennen aus dem Körper wie beim Häuten von Tieren angehoben wurde. Häusliche Gewalt und häufige körperliche Züchtigung in Kleinkindzeit und Kindheit sind wahrscheinlich.
Wahrscheinliche, bereits in der Kindheit begangene Delikte: Diebstahl, unentschuldigtes Fehlen in der Schule, Tierquälerei, habitualisiertes Lügen.
Abwesenheit der Mutter oder einer mütterlichen
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