Das Ungeheuer von Florenz
Ende gelesen hatte.
»Sie haben das alles gemacht, Sie drei?«
»Nein, Signore. Richter Romola hatte die ganze Arbeit schon getan, aber er hatte nie die Gelegenheit oder die Ruhe, alle Implikationen des Falles zu begreifen.«
»Trotzdem verstehe ich nicht einmal ansatzweise, woher Sie die Zeit genommen haben.«
Der Maresciallo dachte darüber nach, und es fielen ihm nur die Abendessen mit Ferrini und dessen Anekdoten ein, das und die lange, ermüdende nächtliche Lektüre. »Wie schon gesagt, wissen wir nicht, was wir nun tun sollen.«
»Das werde ich Ihnen sagen. Was wir sofort tun werden, ist, einen Bericht an den Generalstaatsanwalt mit einer Kopie an Simonetti und den Ermittlungsrichter schicken. Ich hoffe, daß diese Herren ihn fürs erste nicht zur Kenntnis nehmen werden, da alle ja auch noch andere Informationen bekommen. Dafür sorgt schon der Zusammenhang mit der Familie Vargius. Dann werden wir so lange dranbleiben müssen, bis der Verdächtige vor Gericht kommt, und hoffen, daß es ihn nicht erwischt. Ein gewisses Risiko bleibt aber. Wollen Sie es so machen?«
»Ich mache, was Sie für richtig halten.«
»Wenn ich den Bericht unterschreibe, gehen Sie kein Risiko ein, andererseits aber, wenn wir es jemals vor Gericht bringen wollen…«
»An Ruhm ist mir nicht gelegen, Capitano.«
»Nein, das weiß ich. Aber wir müssen auch an Ferrini denken – und an Bacci. Ich finde, Sie sollten es besprechen und danach wieder zu mir kommen. Und, Guarnaccia, ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, Glückwunsch. Es freut mich zu wissen, daß mein Vertrauen in Sie gerechtfertigt war.«
»Ja… das freut mich auch.«
Der Maresciallo griff nach seiner Mütze und berichtigte sich: »Ich wollte sagen, vielen Dank, Signore.«
»Gut gemacht, Maresciallo! Sie hatten Erfolg, wo ich gescheitert bin. Ich bin nicht mal annähernd so weit gekommen.«
»Das wundert mich nicht«, sagte der Maresciallo und hielt Dr. Biondini die Hand hin, »aber ich hab mich gar nicht groß bemüht.«
Er wies auf das Glas Rotwein, das er in der Hand hielt.
»Irgendwer ist mit einem Tablett herumgegangen und hat es mir gegeben. In Menschenmengen bin ich ein wenig unbeholfen.«
»Heute abend sind aber auch wirklich viele Leute hier. Freut mich sehr, daß Sie diesmal kommen konnten. Haben Sie sich schon die Bilder angesehen?«
»Nein. Vielleicht kommen meine Frau und ich an einem anderen Tag noch einmal heraus. Ich hab mir nur gerade die Aussicht angesehen.«
»Der Blick von hier ist herrlich, nicht? Und so ein wunderschöner Abend.«
Es war September, und die Abendsonne verschwamm über der Stadt zu einem Meer aus Rosa und Grün und dunstigem Lila.
Die Steinbrüstung der sternförmigen Fortezza war noch warm, wenn man sie anfaßte, und die Menschen kamen aus der Ausstellung auf den Rasen geströmt, um sich dort hinzusetzen und über die magische Schönheit der Stadt zu staunen, über die sie sich tagsüber meist beklagten. Der Maresciallo, der Teresa in dem Gedränge verloren hatte, stand schon eine Weile da und hörte den Fetzen der Gespräche zu, die zu ihm drangen: der notorische Geiz eines gewissen Marchese, das skandalöse Betragen einer Contessa, das Versagen der städtischen Behörden, die Ungenauigkeit jenes Artikels in der Zeitung… »Sie schreiben, die Tochter, das naive Ding, hätte bei den Carabinieri angerufen, weil sie dachte, ihre Mutter sei entführt worden, und da konnte er doch, als er hinkam, gar nichts anderes machen als seinen Part spielen. Stellen Sie sich mal vor, wie peinlich das für ihn gewesen sein muß, als sie dann in dem Abendkleid hereingeschwebt kam, ziemlich beschmiert, und ihre Leute alle um das Telefon saßen und auf die Lösegeldforderung warteten. Meine Liebe, stellen Sie sich das vor!«
»Sie will versuchen, das Haus noch zu verkaufen, bevor er Konkurs anmelden muß…«
»Nein, nein, die Ehe muß annulliert werden. Das ist zwar ein sehr langwieriges Verfahren, aber sein Onkel ist am Obersten Gericht der römisch-katholischen Kirche, und da wird es sicher nicht so lange dauern wie bei…«
Am Schluß jedoch verstummten alle angesichts des täglichen Wunders eines Sonnenuntergangs über roten Ziegeln und weißem Marmor.
»Wir sollten öfter hier heraufkommen«, sagte der Maresciallo. »Jedesmal, wenn wir da sind, frage ich mich, warum wir das nicht tun.«
»Die Antwort liegt auf der Hand, mein lieber Maresciallo«, erwiderte Biondini mit einem wehmütigen Lächeln. »Uns fehlt die Zeit. Aber
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