Das Ungeheuer von Florenz
von San Casciano campten. Die von Professor Forli durchgeführte Obduktion der Frau, die im Zelt liegend aufgefunden wurde, ergab, daß vier Schüsse auf das Opfer abgegeben worden waren, von denen drei die Schädeldecke und einer den Thorax durchdrangen. Die männliche Leiche wies ebenfalls vier Schußwunden auf, eine im Mund, zwei im linken Oberarm und eine im rechten Ellbogen. Alle diese Schüsse wurden aus der Nähe, aus einer Entfernung von einem halben bis einem Meter, abgefeuert, einige durch die Zeltwand hindurch, andere im Zelt, alle jedoch aus der Richtung des Zelteingangs. Es kann davon ausgegangen werden, daß das männliche Opfer sich in Rückenlage und das weibliche Opfer sich auf ihm befand. Die Frau erlag ihren Schußverletzungen noch im Zelt, wohingegen der Mann, nur durch Streifschüsse verletzt, zu fliehen versuchte. Es gelang ihm, das Zelt zu verlassen und ca. 30 Meter in Richtung des Waldstücks zu fliehen, bevor der Mörder ihn überwältigte und die tödlichen Stichwunden beibrachte. Das Opfer wurde dann die Böschung hinab in das Gestrüpp geworfen, in dem später seine Leiche gefunden wurde.
Der gerichtsmedizinischen Untersuchung zufolge wurde die unbekleidete Leiche der Frau danach an den Füßen halb aus dem Zelt herausgezogen, woraufhin mit ausgreifenden, entschlossenen Schnitten die Schamteile exzisiert wurden. Die Schnittführung bei der Exzision der linken Brust weist Ähnlichkeiten mit der im Fall Patrizia Renzetti auf. Die Leiche der Frau wurde danach wieder in das Zelt zurückgezogen. Dies wurde der gerichtsmedizinischen Schätzung zufolge in neun Minuten ausgeführt.
Am Tag nach dem Verbrechen wurde dem Büro des Staatsanwalts ein Brief zugestellt, adressiert an die einzige Staatsanwältin, die bis dahin an dem Fall mitgearbeitet hatte. Die Anschrift, aus Buchstaben aus einer Zeitschrift zusammengesetzt, wies einen orthographischen Fehler auf. In dem Umschlag befand sich ein zusammengefaltetes und an den Kanten verklebtes Blatt Papier und in diesem Behälter eine kleine Plastiktüte, welche ein würfelförmiges Stück aus Nathalie Mondes linker Brust enthielt.
4
Ein goldener Streifen ließ für einen Moment das klare Grün und Weiß des Marmors von San Miniato aufblitzen, dann versank die Fassade hinter Immergrün, als der Wagen sich dem oberen Ende der Straße näherte. Rechts unter ihnen erstreckte sich die Stadt. Es mußte in der Nacht wieder geregnet haben, jedenfalls leuchteten an diesem Morgen die roten Dächer in der milden Novembersonne.
»Der Fluß ist angeschwollen«, sagte Ferrini. »Man sieht es immer an der gelblichen Farbe und dem intensiven Lichtschein darauf. Ich habe mal einen Film über das Hochwasser gesehen. Sie auch?«
»Ja.«
»Da wurden Busse wie Treibholz durch die Straßen gespült. Von hier oben sieht die Stadt besser aus.«
Der beherrschende Eindruck war der von Ruhe und Schläfrigkeit; in dem milden dunstigen Licht schienen sich die Türme und Kuppeln aus einem terrakottafarbenen Flickenteppich zu erheben. Sie fuhren fast gezwungenermaßen diese Strecke, denn sonst wären sie für Stunden in dem chaotischen Verkehr da unten steckengeblieben. Ferrini wandte den Blick ab und schaute Guarnaccia an, der hinter seiner dunklen Sonnenbrille schwieg.
»Sie sehen nicht sonderlich zufrieden aus. Die Rede des hohen Herrn heute morgen hat Ihnen nicht gefallen, wie?«
»Ich kann nicht behaupten, daß ich sie begriffen habe.«
»Sie waren doch in den achtziger Jahren schon hier, nicht?«
»Ja«, erwiderte der Maresciallo, »aber ich hatte Besseres zu tun, als mich um die Einzelheiten einer Fehde zwischen irgendeinem Untersuchungsrichter und dem Büro des Staatsanwalts zu kümmern.«
»Dann lassen Sie sich von mir einen Rat geben. Verschaffen Sie sich jetzt einen Überblick über diese Einzelheiten, oder Sie geraten mitten in diese Fehde hinein, und das wäre gar nicht gut, nicht jetzt, wo unser Freund Simonetti am Ruder ist. Wohin fahren wir zuerst? Scandicci, nehme ich an, wenn sie hier abbiegen.«
Die Kolonne bestand aus vier Wagen, alle zivil. Ihre Insassen trugen sämtlich Straßenkleidung. Sie wollten keine Aufmerksamkeit erregen, wenn sie die Tatorte der Verbrechen des Ungeheuers besichtigten. Simonetti hatte ihn sogar als Monster bezeichnet, was den Maresciallo überrascht hatte, obwohl er selbst – wie alle – gelegentlich diesen Namen verwendete. Simonettis Erklärungen waren einigermaßen einleuchtend gewesen, seine übrigen Ausführungen
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