Das Ungeheuer von Florenz
auch, den Maresciallo aber, der gerade gesagt hatte, er habe sie nicht verstanden, hatten sie nicht überzeugt.
»Aus gegebenem Anlaß muß ich eine Bemerkung rein lexikalischer Art vorausschicken. Wenn ich, wie ich es im Verlauf dieser Untersuchung auch weiter halten werde, den Begriff ›Monster‹ verwendet habe, um den Urheber dieser Verbrechen zu bezeichnen, so nur aus dem praktischen Grunde der Zeitersparnis und nicht etwa, weil ich mit dieser Bezeichnung irgendeine moralische Wertung oder gar moralische Kritik verbände. Ein Werturteil impliziert dieser Begriff nicht.
Ich möchte Ihnen auch ins Gedächtnis rufen, daß die offizielle Streichung aller Namen aus der Familie Angius, die der früher mit dieser Ermittlung betraute Untersuchungsrichter vorgenommen hat, das Ende aller Ermittlungen in Richtung der sardischen Gruppe bedeutet, die im Zusammenhang mit dem Mord an Belinda Muscas und Amadeo Lo Russo von 1968 steht. Der Bericht des Untersuchungsrichters war korrekt, umfassend und außerordentlich detailreich, und wir verdanken es ihm, wenn wir heute wissen, daß die verwirrenden, widersprüchlichen und, ich könnte sogar sagen, kurzlebigen Elemente dieser Geschichte vor einem Strafgericht nie Bestand hatten und nie haben werden.
Daß Belinda Muscas' Ehemann Sergio 1970 für den Mord an seiner Frau verurteilt wurde, sollte Sie trotzdem nicht dazu verleiten, diesen Fall als abgeschlossen zu betrachten. Er hat zwar gestanden, sein Geständnis aber später widerrufen. Der Verurteilte demonstrierte zweifelsfrei, sogar als er auf seiner Schuld bestand, daß das Verbrechen nicht auf die von ihm geschilderte Art und Weise ausgeführt worden sein konnte und daß er noch einen oder mehrere Mittäter gehabt haben mußte. Dies ist nicht der Augenblick zu ergründen, ob es sich hierbei um ein Verbrechen aus Leidenschaft handelte oder nicht oder ob vielleicht doch rivalisierende sardische Gruppen eine Rechnung beglichen oder nicht. Es genügt festzuhalten, daß die sardische Linie für unsere gegenwärtigen Ermittlungen irrelevant ist, zumal wenn wir bedenken, daß die Beretta 22, das einzige sichere Beweismittel, das dieses Verbrechen mit denen des Gesuchten verknüpft, zwischen 1968 und 1974 leicht den Besitzer gewechselt haben kann.«
Damit war dieser Teil abgehakt. Der »früher mit dieser Ermittlung betraute Untersuchungsrichter« und seine Jahre fruchtlosen Bemühens wurden zu einem Fall für die Archive. Der Maresciallo wußte zu wenig über diese Vorgänge, um sich wirklich eine Meinung bilden zu können. Er hatte jedoch eine Meinung über Simonetti, der ihrem Fahrer nun aus dem größeren Wagen vor ihnen ein Zeichen gab, das Tempo zu verlangsamen.
»Sind wir denn schon da…?«
Der Maresciallo spähte hinaus. Sie befanden sich noch auf einer Asphaltstraße.
»Er will uns die Disco zeigen, hier rechts.«
Ein seltsames, an eine Pagode gemahnendes Gebäude in einem Garten an der sich gabelnden Straße.
»Dort sind sie gegen elf Uhr aufgebrochen und dann hier den Berg hinaufgefahren, um zu parken.«
Zwischen einem Olivenhain zu ihrer Linken und Obstplantagen und Weingärten, die zu ihrer Rechten nach unten abfielen, gewannen die Wagen wieder Fahrt.
»Wir sind da.«
Die Autos fuhren langsamer und bogen in eine schmale Landstraße ein.
»Sind Sie schon einmal hier gewesen?«
Der Maresciallo tastete nach seiner Mütze, bis ihm einfiel, daß er ja keine Uniform trug, und öffnete die Wagentür.
»In der guten alten Zeit, als ich Maresciallo war, habe ich zeitweise an dem Fall gearbeitet, 1981 und 1983 noch einmal. Das hier war 1981.«
Sie stiegen aus den Wagen aus und gingen zu Fuß ein Stück die ockerfarbene Schotterstraße entlang, atmeten die süße feuchte Luft ein, die immer noch schwach nach Weinhefe roch. Auf der einen Straßenseite reiften kleine schwarze und grüne Beeren zwischen silberfarbenen Olivenzweigen, und auf der anderen fielen rote und gelbe Blätter von den Weinstöcken, und kleine Vögel suchten nach übersehenen verschrumpelten und süßen Trauben mit einem Hauch von Mehltau.
»Die Leiche des jungen Mannes befand sich im Wagen, wie Sie wissen…«
Simonetti schaute auf seine Klemmappe, die gespickt voll war mit Karten und Fotografien. »Und die Leiche der Frau lag hier. Daraus ergeben sich zwei mögliche Tathergänge: Nummer eins: Da der Körper ja nicht geschleift wurde, hat er sie dieses Stück getragen, bevor er mit dem Messer auf sie einstach, Nummer zwei: Sie versuchte zu
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