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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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den Sie suchen. Ich bin es nicht. Ich nicht!«

6
    »Verstehen Sie, wessen man Sie beschuldigt?«
    »Ich verstehe überhaupt nichts. Was soll ich denn verstehen? Ich bin nur ein Bauer. Mein ganzes Leben lang hab ich auf dem Feld gearbeitet, hab jede Lira im Schweiße meines Angesichts verdient. Ich weiß nicht, worum es hier geht. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
    »Sie werden verdächtigt, Hermann Mainz und Ulrich Richter sowie Nathalie Monde und Maurice Clément ermordet zu haben. Und da wir durch ballistische und gerichtsmedizinische Untersuchungen beweisen werden, daß alle Doppelmorde dieser Mordserie die gleiche Handschrift tragen, wird man Sie auch aller anderen Morde des sogenannten Monsters von Florenz anklagen. Wollen Sie unsere Fragen beantworten?«
    »Wie kann ich denn Ihre Fragen beantworten? Ich weiß doch gar nicht, wovon Sie reden. Ich bin bloß ein armer Bauer. Was denn für Fragen? Sie können mir keine Fragen stellen. Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen.«
    Mit einem übertriebenen Seufzer mühsam gewahrter Geduld wandte sich Simonetti an den Anwalt, der neben dem Verdächtigen saß. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihrem Mandanten die Sachlage zu erklären?«
    »Wir beantworten Ihre Fragen.«
    Der Anwalt legte die Hand auf den Arm des Verdächtigen.
    »Ist schon gut. Beruhigen Sie sich.«
    »Gar nichts ist gut! Warum verdächtigt er mich? Warum mich? Was habe ich ihm denn getan? Er will mich ans Kreuz nageln, dabei weiß er genau, daß ich es nicht war. Warum also?«
    Er rieb sich mit einer fleischigen Hand übers Gesicht, das immer noch feucht und dunkelrot war, und begann wieder laut zu schluchzen. Simonetti schürzte belustigt die Lippen.
    »Diese Vorstellung beeindruckt uns gar nicht, wissen Sie. Sie können damit warten, bis ein paar Journalisten anwesend sind – aber da ich denen heute nicht erlaube, Sie zu sehen, können Sie sich die Mühe sparen.«
    Der Verdächtige legte den Kopf auf seine Arme, und der Anwalt beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Verdächtige wimmerte protestierend, sein Weinen wurde trotzdem nicht leiser.
    »Können wir fortfahren?«
    Der Maresciallo behielt den Verdächtigen im Auge, der nun den Kopf hob und den Blick reihum über die Männer schweifen ließ, vielleicht nach einem Anzeichen von Mitgefühl suchte. Er sah keinen der Beamten direkt an, sondern seitlich aus dem Augenwinkel eines glänzenden Auges, das gar nicht zu dem weinenden roten Gesicht zu gehören, sondern hinter einer Maske hervorzulugen schien. Haben wir hier, fragte sich der Maresciallo, den Mann vor uns, der das alles getan hat? »Das alles« war direkt hinter dem Kopf des Verdächtigen auf der Leinwand zu sehen: ein Torso, zerstochen, verletzt und blutend, eine abgeschnittene Brust und eine rotschwarze Höhle, wo die Vulva herausgeschnitten war. Die Bilder erschienen und verschwanden hinter dem dichten struppigen Haar des Verdächtigen, der aufgeregt den Kopf hin und her bewegte.
    »Sie haben mich doch bloß verhaftet, weil ich arm und dumm bin, weil ich nicht mal die Grundschule abgeschlossen hab. Ich hab mein ganzes Leben lang für jede Lira schuften müssen, hab versucht, was zu sparen, wie man es mir beigebracht hat…«
    »Würden Sie vielleicht…«
    Simonetti bat den Anwalt, ihn zum Schweigen zu bringen. Das dauerte eine Weile. Der Maresciallo hielt das Ganze für eine nutzlose Übung. Er hatte sich unter dem Verdächtigen einen anderen Menschen vorgestellt, was für einen, wußte er nicht genau anzugeben, aber jedenfalls einen ungewöhnlichen Menschen – ein Ungeheuer, ein Novum, einen Menschen, wie ihm noch keiner untergekommen war. Dieser Mensch hier aber war ihm nur allzu vertraut, und er gehörte zu der Sorte, mit der man am wenigsten zurechtkam. Logik war für einen solchen Menschen ein Fremdwort. Er gehörte zu der Sorte, die hartnäckig leugnet, und nichts würde ihn je dazu bewegen, von dieser Taktik abzuweichen, ganz gleich, wie viele Beweise man ihm auch unter die Nase hielt. Und das Schlimmste daran war, daß dies die beste Art der Verteidigung war. Der Maresciallo hatte schon so viele Verdächtige dieses Schlages erlebt und wußte, daß sie sich nicht aus dem Konzept bringen ließen, wenn man sie nicht durch raffinierte Tricks zu einem Geständnis zwang. Wenn ein kluger Mensch bei einer Lüge oder einer Unstimmigkeit ertappt wird, gibt er nach. Ein dummer Mensch aber leugnet immer weiter, knüpft jeden Tag ein neues Lügengespinst,

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