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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Wände und den leeren Tischen und Stühlen für das Publikum blieb im Schatten.
    Sie saßen, wo normalerweise Richter und Geschworene ihren Platz hatten. Professor Forli blieb vor der Leinwand stehen und ging beim Sprechen hin und her, wie es seine Gewohnheit war.
    Sie hatten keine Zeit gehabt, ihrer Überraschung Ausdruck zu verleihen, als statt des Verdächtigen der Professor durch die Seitentür gekommen war. Simonetti erklärte beim Vorstellen nebenher, daß sie sich zweierlei zunutze machen konnten: die Lücke in Forlis Terminkalender und die in diesem Gerichtssaal vorhandene technische Ausstattung.
    Nach diesen Worten begann der Professor mit seinen Ausführungen, und wenn Forli einmal in Fahrt geriet, war er nicht mehr zu bremsen. Er war ein guter Pathologe, der beste, den es gab, aber er war auch der geborene Lehrer und hielt nun eine Unterrichtsstunde ab, wobei er ganz vergaß, daß sie nicht seine Studenten waren.
    »Eintrittswunde im linken Oberarm, keine Austrittswunde, weil die Kugel im Herzen steckenblieb. Die zweite Kugel – aus dem Wageninnern abgefeuert, das Opfer ist bereits tot – tritt hier an der Halsmitte ein und…«
    »Der Körper sackt im Moment des Todes nach vorn.« Schweigen. Diesmal war es nicht Bacci, sondern Simonetti, der angelehnt und mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl saß und lächelte.
    »Bitte um Verzeihung?«
    Forli war es offensichtlich nicht gewohnt, daß seine Studenten ihn unterbrachen.
    »Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß der Körper nach vorn gesackt sein muß, wenn die erste Kugel in den Arm und die zweite hinten am Hals eintrat.«
    »Aha.«
    Forli dachte einen Augenblick über diese Worte nach und fragte dann höflich: »Waren Sie dabei?«
    »Ob ich…? Nein, ich wollte nur…«
    »Ich war auch nicht dabei, deshalb kann ich nicht sagen, ob der Körper zum Zeitpunkt des Todes nach vorn gesackt oder ob er sich unter der Wirkung des ersten Geschosses seitlich von der Tür weggedreht hat oder vom Angreifer nach vorn gezogen wurde. Wir fahren fort.«
    Forli fuhr noch eine ganze Stunde lang fort, ohne sichtbar Atem zu schöpfen. Nachdem er die restlichen Dias gezeigt und alles gesagt hatte, was er zu sagen hatte, wollte er den Projektor ausschalten, doch Simonetti hielt ihn auf.
    »Nur für den Fall, daß wir uns, wenn wir unsere Akten durchgehen, das eine oder andere noch mal anschauen wollen.«
    »Die Dias muß ich wieder ins Gerichtsmedizinische Institut mitnehmen.«
    »Sie erhalten Sie in zwei oder drei Stunden zurück.«
    Für einen Augenblick sah Forli verblüfft aus, dann heiterte sich seine Miene auf.
    »Ich verstehe. Allseits noch einen guten Tag.«
    Er nahm seine ramponierte Aktentasche und ging durch den langen, verdunkelten Raum davon.
    Was hatte er verstanden? fragte sich der Maresciallo, als Ferrini ihn anstupste und flüsterte: »Das war gut: ›Waren Sie dabei?‹ Hat mir gefallen. Gott sei Dank hat mal jemand den Mumm, ihm in die Parade zu fahren… Jetzt geht's los…«
    Simonetti erhob sich, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, als schöbe er seine Robe zurück, und schaute zu den Türen neben den Käfigen. Der Maresciallo folgte seinem Blick und sah, daß eine Tür geöffnet wurde und zwei Carabinieri erschienen.
    Was hatte er erwartet? Vielleicht hätte er es, wenn ihn jemand gefragt hätte, nicht genau erklären können. Aber während der letzten Woche mußte sich doch ein Bild in seinem Kopf festgesetzt haben. Anders konnte es doch gar nicht sein. Aber er hatte nie versucht, es sich bewußtzumachen, geschweige denn Worte dafür zu finden, und nun wußte er nicht mehr, wie es ausgesehen hatte. Wußte nur noch, daß es mit dem, was er jetzt zu sehen bekam, nichts zu tun hatte. Daß es nicht so sonderbar gewesen war. Er war kein Experte, daher hatten seine Vorstellungen sowieso nichts zu sagen. Aber trotzdem… Er reckte sich ein wenig zur Seite in der Hoffnung, besser sehen zu können. Die anderen taten dasselbe, doch der Verdächtige war so klein, daß er zwischen seinen vier Bewachern, allesamt große und kräftige Männer, fast nicht zu sehen war.
    Sie sahen zwar nicht viel von ihm, hörten dafür aber um so mehr. Er weinte, und zwar sehr laut, so, wie Kinder weinen, wenn sie von ihren Eltern beachtet werden wollen. In dem Moment, in dem sie sein blutrotes, aufgedunsenes und mit Spucke, Rotz und Tränen beschmiertes Gesicht besser zu sehen bekamen, sah er sie ebenfalls und begann mit einemmal zu schreien: »Ich bin nicht der,

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