Das Ungeheuer von Florenz
schlafend, doch es war hoffnungslos. Er war für solche Sachen zu alt. Junge Leute konnten das, ohne weiteres einschlafen oder nach einem lang gewordenen Abend ausschlafen. Wenn man aber einmal ein bestimmtes Alter erreicht hatte, wachte man immer zu seiner gewohnten Zeit auf. Und legte man sich einmal um neun Uhr morgens ins Bett… Das Licht… daran lag es vielleicht. Müde stand er aus dem Bett auf und schloß die Fensterläden hinter dem weißen Vorhang.
»So müßte es gehen…«
Er kroch wieder unter die Decke und versuchte es noch einmal, streckte den Arm zu der leeren Fläche neben ihm aus. Er kam sich fehl am Platz vor, allein in dem breiten Bett, und zog, ohne es zu merken, an Teresas Kissen, bis es die Stelle bedeckte, auf der sie sonst lag. Er war so müde, daß sein Körper schmerzte und seine Augen brannten. Hunger hatte er auch. Das merkte er erst jetzt, wo er sich im Dunkeln wieder hingelegt hatte. Er durfte eigentlich nicht hungrig sein, nicht um zwölf, denn er aß nie vor zwei Uhr zu Mittag. Trotzdem rumorte es in seinem Magen, und ein scharfer Schmerz machte sich in seiner Mitte bemerkbar. Ob er schlafen konnte, wenn er etwas essen würde? Etwas Kleines, und dazu ein Glas wärmenden Rotwein? Der Gedanke, wieder aufzustehen, verleidete ihm die Sache, ganz zu schweigen davon, daß er sich selbst etwas würde kochen müssen. Brot hatte er nicht im Haus, deshalb konnte er sich nicht schnell ein Sandwich machen. Was hatte er überhaupt noch? Einen letzten Rest Pastasauce. Doch dafür mußte er Wasser aufkochen, und so lange konnte er sich nicht auf den Beinen halten. Er konnte sich aber etwas Schmackhaftes ausdenken… Wenn er das gewußt hätte, hätte er sich ein paar von diesen Toasts gekauft, die Noferini immer in der Bar zum Frühstück aß. Sie wären im Handumdrehen fertig gewesen, und der Käse und der salzige Schinken, mit denen sie belegt waren, wären das richtige zu einem Glas Rotem gewesen.
Je länger er darüber nachdachte, desto peinigender wurde sein Hunger und desto heftiger kämpfte seine Müdigkeit dagegen an. Im Geiste vollzog er die Bewegungen des Aufstehens, der Anziehens und des Gangs nach draußen, um sich in einer Bar entweder Sandwiches oder bei einem Bäcker Brot zu kaufen, doch sogar der Gedanke daran erschöpfte ihn. Er seufzte und vergrub sich tiefer in sein Kissen, hoffte, daß er im Schlaf auch die Speisen vergaß, bei denen ihm das Wasser im Munde zusammenlief und die er nicht aus dem Kopf bekam.
»Ich bin auf Diät«, sagte er plötzlich laut, und die Regungen seines Magens kamen ruckartig zum Stillstand. Wütend auf sich selbst, wälzte er sich auf die linke Seite und knallte den Kopf heftig aufs Kissen. Damit war das erledigt.
»Mist!« war das letzte, was er laut sagte, bevor er einschlief, ohne es zu merken. Er hatte kaum Zeit, einer verwirrten Teresa zu erklären, warum er es ihr nicht gesagt hatte, daß er etwas essen wollte, als das Telefon klingelte und ihn wieder aufweckte. Es war zehn nach zwölf.
»Mario!«
Der Maresciallo vernahm die Stimme einer sehr alten und schwachen Frau.
»Hier ist nicht…«
»Mario! Warum hast du gestern abend nicht zu Hause angerufen?«
Einer sehr alten, sehr schwachen Frau aus Kalabrien.
»Signora, Sie haben sich verwählt.«
»Wer sind Sie?«
»Signora, Sie haben…«
»Was tun Sie im Haus meines Mario?«
Nach einer Weile gab er es auf und legte den Hörer auf. Er war nun hellwach und fühlte sich genauso schwach wie die Anruferin. Er stellte die Klingel seines privaten Telefons ab und ließ nur den Dienstapparat eingeschaltet. Dann stapfte er in die Küche und setzte einen Topf Wasser auf. Während er darauf wartete, daß es kochte, zog er sich an und machte das Bett, militärisch exakt. Er würde einfach am Abend zeitig Schlafengehen.
»Das Hundefutter…«
»Was ist mit dem Hundefutter?«
»Er…«
Es war bei fast jeder Frage dasselbe Lied. Sie sagte vielleicht einen Halbsatz und hörte dann wieder auf. Ihr zu soufflieren half auch nicht. Sie wartete schweigend, in einer unnatürlichen Stille. Sie hatte Ähnlichkeit mit ihrem Vater, war klein und gedrungen. Ihre Beine baumelten wie die eines Kindes vom Stuhl, und manchmal hatte es den Anschein, als wolle sie die Füße ausstrecken, festen Boden berühren, doch sie reichte noch mit der Spitze ihrer staubigen Schuhe kaum bis auf den Boden hinunter. Sie umklammerte die Kanten des Plastikstuhls mit aller Kraft, ihre Knöchel waren weiß von der
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