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Das Ungeheuer

Titel: Das Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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Befürchtungen.
    »Maurice...«, begann Hobbs, aber dann brach er wieder ab und kämpfte seine Tränen nieder. »Mein Junge wäre jetzt drei geworden. Sie haben ihn nie gesehen. Er war uns eine solche Freude. Der Mittelpunkt unseres Lebens. Ein Genie.«
    »Was ist passiert?« Fast hatte Victor Angst vor dem, was er hören könnte.
    »Er ist gestorben!« sagte Hobbs, und jäh brach Wut durch seine Trauer.
    Victor schluckte heftig. Seine Kehle war trocken wie Sandpapier. »Ein Unfall?« fragte er.
    Hobbs schüttelte den Kopf. »Man weiß nicht genau, was eigentlich geschehen ist. Es begann mit einem Anfall. Wir brachten ihn in die Kinderklinik, und dort meinten sie, es sei eine Gehirnschwellung. Sie konnten nichts tun. Er erlangte das Bewußtsein nicht wieder. Und dann blieb das Herz stehen.«
    Stille lastete schwer auf dem Büro. Schließlich sagte Hobbs: »Ich hätte gern ein paar Tage frei.«
    »Natürlich«, erwiderte Victor.
    Hobbs stand langsam auf und schlurfte hinaus.
    Victor setzte sich und starrte eine ganze Weile auf die Tür. Ausnahmsweise war der letzte Ort auf der Welt, an dem er jetzt sein wollte, das Labor.

4
    Montag vormittag
    Der kleine Wecker auf Marshas Schreibtisch summte los und signalisierte das Ende der fünfzigminütigen Sitzung mit Jasper Lewis, einem zornigen Fünfzehnjährigen mit einem Schatten von Bart am Kinn. Er hing Marsha gegenüber im Sessel und gab sich gelangweilt. Aber Tatsache war, daß der Junge echten Schwierigkeiten entgegensteuerte.
    »Worüber wir noch nicht gesprochen haben, ist deine Zeit im Krankenhaus«, sagte Marsha. Sie hatte die Akte des Jungen aufgeschlagen auf dem Schoß.
    Jasper deutete mit dem Daumen über seine Schulter zu Marshas Schreibtisch. »Ich dachte, wenn dieser Wecker lossummt, ist die Sitzung vorbei.«
    »Dann ist sie beinahe vorbei«, korrigierte ihn Marsha. »Wie siehst du deine drei Monate im Krankenhaus jetzt, da du wieder zu Hause bist?« Marsha hatte den Eindruck, daß der Junge von der strukturierten Umgebung der Klinik profitiert hatte, aber sie wollte gern seine eigene Meinung hören.
    »Es war okay«, sagte Jasper.
    »Nur okay?« fragte Marsha ermutigend. Es war so schwierig, diesen Jungen zum Reden zu bringen.
    »Es war ganz nett«, sagte Jasper achselzuckend. »Sie wissen schon, nichts Tolles weiter.«
    Offensichtlich würde es ein bißchen mehr Mühe erfordern, dem Jungen seine Meinung zu entlocken, und Marsha machte sich eine Erinnerungsnotiz an den Rand der Akte.
    Die nächste Sitzung würde sie mit diesem Thema beginnen. Sie schloß die Akte und blickte Jasper an. »Es war schön, dich zu sehen«, sagte sie. »Bis nächste Woche dann!«
    »Ja.« Jasper stand auf und verließ ungelenk den Raum.
    Marsha ging an ihren Schreibtisch und diktierte ihre Notizen. Sie schlug die Akte auf und warf einen Blick auf ihren Einweisungsbericht. Jasper war von frühester Kindheit an verhaltensgestört gewesen. Mit seinem achtzehnten Geburtstag würde die Diagnose sich zu »antisoziale Persönlichkeitsstörung« wandeln. Darüber hinaus war er nach Marshas Eindruck eine schizoide Persönlichkeit.
    Sie ging die relevanten Einzelheiten der Entwicklung des Jungen durch und betrachtete sie: häufiges Lügen, Prügeleien in der Schule, ständiges Schwänzen, nachtragendes Verhalten, Rachephantasien. Ihr Blick verharrte auf der Feststellung: Kann keine Zuneigung empfinden und keine Gefühle zeigen. Und plötzlich sah sie VJ vor sich, wie er sich ihrer Umarmung entzog und sie kalt anblickte, die blauen Augen eisig wie zwei Bergseen. Sie zwang sich, wieder in die Akte zu schauen. Zieht Einzelaktivitäten vor, wünscht keine enge Beziehung, hat keine engen Freunde.
    Marshas Puls beschleunigte sich. Hatte sie da eine Zusammenfassung über ihren eigenen Sohn vor sich? In banger Unruhe las sie Jaspers Persönlichkeitsprofil noch einmal. Es gab eine Menge Verbindungen, die ihr Unbehagen bereiteten. Sie war froh, als ihre Gedankengänge von ihrer Krankenschwester und Sekretärin unterbrochen wurden. Jean Colbert war eine adrette, ordentliche Neu-Engländerin mit kastanienbraunem Haar. Bevor Marsha aufsah, fiel ihr Blick auf einen Satz, den sie rot unterstrichen hatte: Jasper wurde im wesentlichen von einer Tante großgezogen, da seine Mutter an zwei Arbeitsstellen arbeitete, um die Familie zu ernähren.
    »Sind Sie bereit für den nächsten Patienten?« fragte Jean.
    Marsha holte tief Luft. »Erinnern Sie sich an die Artikel über Kindertagesstätten und ihre

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